Sebastian Fitzeks Romane sind sicherlich nichts für Zartbesaitete. „Der Heimweg“ erzählt eine furchterregende Geschichte über Gewalt, Ohnmacht, Angst und sadistische Perversion. Im Zentrum stehen eine Handvoll Menschen, alle verwoben, verstrickt in einem Netz, das einzig und allein durch Gewalt zusammengehalten wird. Beinahe in Echtzeit verfolgt man kapitelweise die Protagonistin Klara in Fitzeks neu aufgelegter Version einer Reise ans Ende der Nacht à la Ferdinand Céline.
In „The Great Passage“ einer japanischen Anime TV-Serie wird ein Bücherwurm verpflichtet, ein Wörterbuchprojekt weiterzutreiben, dass ein in Rente gehender Lektor begonnen hat. In einem Labyrinth der Selbstverpflichtung sondiert diese Serie in langsamen, seltsamen Unterhaltungen das besondere an Wörterbüchern, ihre eigentümliche Widerstandskraft und Persönlichkeit, die Geschichte also, die in jedem Versuch steckt, dieses und kein anderes Wörterbuch zu dieser oder jener Sprache vorzulegen. Der Protagonist, Mitsuya Majime, lebt zurückgezogen mit seiner Katze, übernimmt diese Aufgabe in sich selbst verleugnender Pflichterfüllung und findet so sein Glück, heiratet die angehende Köchin Kaguya Hayashi und lernt, spärlich, zäh, unsicher von Wort zu Wort mehr seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Die gute Unterhaltung, oder: Die Kunst der kritischen Vernunft.
In Judith Butlers neuem Buch “Die Macht der Gewaltlosigkeit“ werden nebst Nachwort und Vorwort hauptsächlich in vier Kapiteln Texte von Kant und Hobbes; von Klein und Fanon; von Foucault und Benjamin; sowie von Einstein und Freud besprochen. Alle Kapitel handeln von Gewalt und Gewaltlosigkeit, Trauer und Betrauerbarkeit, Individualität und Kollektivität in lokalen wie globalen Macht- und Rechtszusammenhängen. Der klare Höhepunkt wird schließlich im dritten Kapitel erreicht, als Butler namentlich die Opfer von polizeilicher Gewalt in den USA aufzählt, Frauen, die wegen Verstößen der Straßenverkehrsordnung erschossen wurden.
Ein 592 Seiten in sich verwinkeltes, sich wiederholendes, re-paraphrasierendes hypo- und parataxisches Ungetüm – Zumutung oder Befreiungsschlag, Großdenker oder Provokateur? Es geht um Beckett, um Lenin, um den Holocaust, um MeToo. Es geht um Freud, Lacan, immer wieder Hegel. Es geht um Badiou, den Kollaps der Wellenfunkton in der Quantenmechanik, um Kafka, Zupancic, um Butler und Kristeva, rund um den stets herauswabernden Kant und Schelling, das Unheimliche Platons, Trump, Zynismus und die ewige Wiederkehr von Geschlechter-Binärem, dem Symbolischen, Imaginären, dem Realen des Hollywood Kinos, über Cary Grant zu Tom Cruise, Hitchcock vor und zurück und independent Science-Fiction Filme, Neurologie, künstliche Intelligenz und dem Virtuellen am Sex, das objet a und das durchkreuzte Subjekt.
Alan Sokal verfasste 1996 einen Artikel namens „Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation“. Mittels kongenialer Begriffsbildung vermittelte sich der Eindruck von einer Tiefenschärfe, die selbst die Brücke zwischen Geistes- und mathematisch exakten Naturwissenschaften zu schlagen vermochte. Dass es sich bei dem Textkonglomerat um eine Art Free Jazz handelte und vom Autor alles andere als ernstgemeint war, stellte sich erst im Nachhinein heraus. Ausreichend viele Kommentatoren und Trittbrettfahrer nutzten bereits die Steilvorlage und improvisierten mit und zwar unabhängig vom intendierten Sinn des Artikels. Der süffisante Nachtrag, dass es sich nur um einen Hoax handelte, entzog jedweder Diskussion zwar den Boden wissenschaftlicher Seriosität, warf aber auch ein zynisches Licht auf den Autor selbst, der schließlich einen Kommunikationsvorschlag angeboten hat und deshalb nicht einfach, nach Durchführung, Wortmeldung und Publikation, diesen zurücknehmen kann. Dies auch der Grund, warum wissenschaftliche Artikel nicht zurückgezogen werden können, selbst wenn sie sich als falsch, unhaltbar, oder gar Plagiat herausstellen.
Die Strahlen der untergehenden Sonne schienen durch die Fenster, fielen auf die Oberfläche der Fluten und flossen wie Wellen aus goldenem Licht über die Decke der Treppe und die Gesichter der Statuen. Als die Nacht anbrach, lauschte ich den Liedern, die Der Mond und Die Sterne sangen, und ich sang mit. — Die Welt fühlte sich vollständig und intakt an, und ich, ihr Kind, füge mich nahtlos in sie ein. Nirgendwo gibt es irgendeinen Einschnitt, an dem ich eine Erinnerung nicht greifen kann, ein Verständnis sich mir entzieht. Der einzige Teil meines Daseins, in dem ich einen Bruch empfinde, ist dieses letzte Gespräch mit dem Anderen.“
“Piranesi” – Susanna Clarke
„Piranesi“ ist seltsam, und im seltsamen Dickicht sein eigenes Rätsel. Wie die Rätsel der Ägypter auch Rätsel für die Ägypter selbst waren, so verstrickt sich das Lesen in die eigene Hilflosigkeit. Die öden Gänge, das fahle Licht, die dahinplätschernden Tage des Ich-Erzählers, der sein Ich nicht kennt, kennen kann, oder dem er zu entfliehen sucht, erzeugen einen unheimlichen naturalistischen Sprachbezug, der selbst noch in der Übersetzung das Gruseln lehrt: nämlich das der Sprachlosigkeit, wenn Sprache zerfällt, bruchstückhaft dahinschwindet, die Inkohärenz der Gedanken unaufhaltsam voranschreitet und Namen zu Begriffen, Begriffe Namen werden, die nur in den Augen eines Anderen an Konturen gewinnen, von Augenblick zu Augenblick aber zu schwinden drohen.