Robert Seethaler: „Das Café ohne Namen“

Großstadtleben angenehm … Spiegel Belletristik-Bestseller (22/2023)

Unter Erbauungsliteratur galten lange kleine Kompendien hauptsächlich religiöser Natur. Vertreter dieses Genres verpflichteten sich, Mut spendende, Hoffnung einflößende Gefühle in ihrem Publikum zu erwecken. Auch Friedrich Gottlieb Klopstock mit Der Messias und John Milton Verlorenes Paradies rechnen zu dieser Literatur. Mit zunehmender Säkularisierung und Industrialisierung des Buchdruckwesen entstand aus diesem Genre das, was heutzutage Unterhaltungsliteratur heißt, und längst schon nicht mehr auf erbauliche Themen beschränkt ist. Dennoch, ein Teil der Unterhaltungsliteratur behält sich vor, nur Gutes zu berichten, nur vom Freundlichen zu handeln. Jan Weilers Roman Der Markisenmann oder Susanne Abels Stay away from Gretchen und Was ich nie gesagt habe, aber auch Dörte Hansens Zur See lassen sich als Beispiele anführen. Robert Seethalers Das Café ohne Namen gesellt sich dazu:  

Sehr geehrte Herren, Es geht um mein Café am Karmelitermarkt. Ich sage, es ist ein Café, obwohl niemand außer mir es so nennt. Und ich sage, es ist meines, obwohl es mir auf dem Papier nie gehört hat. Vor zehn Jahren war es ein staubiges Loch, jetzt sitzen dort jeden Abend außer Dienstag Menschen, um wenigstens für ein paar Stunden den ganzen Schlamassel um sie herum zu vergessen. Es ist warm, die Fenster sind im Winter dicht und es gibt etwas zu trinken, und vor allem kann man reden, wenn man es nötig hat, und schweigen, wenn einem danach ist.

Robert Seethaler aus: „Das Café ohne Namen“
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