Salman Rushdies Erzählstil wird gemeinhin zum magischen Realismus gerechnet. Dieser zeichnet sich durch eine harte Sehschärfe auf das Alltägliche aus, das eigenartig geheimnisvoll gebrochen mit Elementen des Traumes, des Unbewussten und/oder Phantastischen versetzt wird, ohne die homogen-stabile Erzählweise jedoch zu unterbrechen. Die beschriebenen Figuren erleben in diesem Sinne Wunder und Absurditäten als Elemente des Normalen. Andere bekannte Titel aus diesem Genre lauten Wir sehen uns im August (Gabriel García Márquez ) oder Hundert Jahre Einsamkeit, Die Blechtrommel (Günter Grass) oder Die Wand (Marlen Haushofer). Die Erzählungen in Die elfte Stunde unterstützen diese Sichtweise. Rushdie durchbricht in jedem der fünf Erzählungen die Normalität mit abstrusen, unheimlichen Vorkommnissen:
„Salman Rushdie: „Die elfte Stunde““ weiterlesenAls er merkte, dass er wahrgenommen wurde, schien er überrascht – ja, das auf jeden Fall –, wirkte aber auch liebenswert und freundlich. [Die indische Studentin] setzte sich zu ihm an die andere Seite des kleinen Tisches, konnte jedoch nichts sagen. Der Geist sagte auch nichts. Ihre Wortlosigkeit fand sie allerdings weder beängstigend noch unbehaglich. Eigentlich, erzählte sie später, sei es mit ihm sogar sehr angenehm gewesen. »Ich dachte, es – er – hat sich gefreut, gesehen zu werden«, sagte sie. »Er wirkte erleichtert.«
Salman Rushdie aus: „Die elfte Stunde“
