Das Debüt 2022: Meine Favoriten

Zum ersten Mal habe ich in diesem Jahr bei der Blogger Jury zum Buchpreis Das Debüt teilgenommen.

Die Shortlist umfasste dieses Mal fünf Bücher, die aus über 70 Einsendungen von dem Organisationsteam bestehend aus Dr. Bozena Anna Badura, Janine Hasse und Sarah Jäger ausgesucht worden sind. In die nähere Auswahl gekommen sind:

Bücher lassen sich schnell, flüchtig, intensiv, akribisch, besonnen oder hektisch und so weiter lesen. Sie lassen sich reihen, stapeln, vergleichen, singularisieren, bedauern, bejubeln und begrüßen. All dies gehört zum Sprachspiel der Literatur, dem Suchen, Schwadronieren, dem Hoffen, zwischen Genre pendelnd das neue Erwarten.

Wie dem einzeln Buch überhaupt gerecht werden, lautet die Frage, die mich stets, auf jeder neuen Seite eines Buches beschleicht. Wie lesen? Auf welche Weise den Rhythmus der Wörter betonen? Wie der Erzählposition nachspürend? Was erinnern? Was vergessen? Was hinzutun? Alles, was für mich Literatur auszeichnet, bleibt in dieser Schwebesituation, Gedanken zu ermöglichen, Einblicke zu gewähren, Begriffshorizonte zu erweitern, ohne etwas zu erzwingen – vielleicht, um Jürgen Habermas etwas abzuwandeln, das ungezwungen Zwingende des schönen Schreibens.

Zum Punkt, um überhaupt eine Liste tolldreist erstellen zu können, hangele ich mich über Kategorien zur Punktegabe. Ansonsten habe ich keine Chance, mich selbst zu überraschen. Ich wähle 5 Kategorien und vergebe jeweils die Punkte von 1 bis 5 mit Kurzerklärungen.

Die offensichtliche und erste Kategorie lautet:

Narration:

Hier geht ein, ob ein Text überraschende Wendungen besitzt, vergleichsweise, mir unbekannte Topiken einführt, eine Erzähldichte und Spannung aufbaut, das Lesetempo dirigiert, eine Art Fluss und Eigendynamik erzeugt, Witz und Esprit versprüht, also ob der Text ein guter Gesprächspartner ist oder wird oder sein möchte.  

  • 5 Punkte für: Ist hier das Jenseits, fragt Schwein – da die Reise zwischen den Welten, leicht und locker, jedwede Abstrusität auffängt und dennoch mitreißt und die Frage nach Sinn und Bedeutung der Geschichte vor Lesefreude nicht einmal aufzutauchen vermag.
  • 4 Punkte für: 153 Formen des Nichtseins – da die Ich-Erzählerin unnachgiebig mit sich und der Welt ins Gericht zieht und selbst völlig in sich Widersprüchliches ausagiert, das überrascht, bspw. der vorgestellte Wutausbruch gegen die faulen Zeugen Jehovas unter der Brücke.
  • 3 Punkte für: Liebe ist gewaltig – da Thilo, der Verlobte, eben doch nicht Überhand gewinnt, Juli Ehre Mut und Kraft findet, für sich einzustehen, und der Roman so überraschende Züge eines Entwicklungsromans erhält.
  • 2 Punkte für: Lektionen in dunkler Materie – da das zwischen den Welten hängen mit der Internationalen Raumstation eine gewisse Dramatik erhalten hat.
  • 1 Punkt für: Nordstadt – da vollständig auf jede Erklärung und Logik verzichtet, und das Leben zweier junger Menschen impressionistisch und alle Verkrampftheit wiedergegeben wird.

Das führt zur nächsten Kategorie, nämlich, abgesehen von der Erzählung, dem Inhalt, die Erzählweise:

Komposition:

D.h., inwiefern die Erzählung strukturell überrascht, Zeit veranschaulicht, über Wiederholungen, Konsistenz, über Zurückbindung, Einbindung von Motiven eine Geschlossenheit erzeugt, die sowohl Anfang wie Ende plausibel werden lässt, also das Gewebe und Gewebte, das Rahmende des Textes, samt Waben und Maserungen.

  • 5 Punkte für: Nordstadt – da der Roman einem Popsong gleicht, irgendwann zu schwingen und lachen und zu weinen beginnt, in Wiederholungen und Schlaufen ein Sesam-Öffne-Dich besingt, das in Rhythmik und Insistenz zu überzeugen versteht.
  • 4 Punkte für: 153 Formen des Nichtseins – da das Unwahrscheinliche tatsächlich entsteht und aus dem losen Verbund anfänglich beliebiger Assoziationen ein Ich-Erzähl emergiert, das einen völlig neu auf die Erzählgeschichte schauen lässt.
  • 3 Punkte für: Liebe ist gewaltig – da die Erzählposition plötzlich, völlig unerwartet wechselt (aus der ersten wird eine dritte Person), und dem Lesefluss einen Stoß frische Luft und Leichtigkeit gibt.
  • 2 Punkte für: Ist hier das Jenseits, fragt Schwein – da eine eigenartige Spannung zwischen Raum und Zeit und Anwesenheit gewoben wird, was insbesondere die seltsam changierende Figur von Gottes Schwester betrifft.
  • 1 Punkt für: Lektionen in dunkler Materie – da konsequent die Möglichkeiten und Überraschungen einer Episoden-Roman-Form genutzt werden, um Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten zu können.

Die dritte Kategorie lautet:

Sprachgeschmeidigkeit:

Also vor allem, inwiefern der Sprache ihre Eigendynamik abgelauscht wird, Sätze nicht nur ein Ende finden, sondern auch ineinander übergehen, Bilder, Melodien, Poesie aus Wörtern entstehen, in der Imagination ein Potpourri an Sprachmöglichkeit oder gar Spracherweiterung dargestellt, also die Lust am Text vermehrt, erhöht, in vernetzten Wortwolken weitergegeben wird.

  • 5 Punkte für: Liebe ist gewaltig – da der dritte Teil tatsächlich eine Sogwirkung und Eigendynamik aufweist, die einen den Atem anhalten lässt.
  • 4 Punkte für: Ist hier das Jenseits, fragt Schwein – da die fehlenden Artikel für die Tiere, diese allesamt nahbar und sanft erscheinen lassen, die Sprache nirgendwo an irgendeiner Stelle erzwungen und gewaltsam erscheint, alles rundend und in sich greift.
  • 3 Punkte für: Nordstadt – da Schneeflocken, kleine Details, widerhakende Erlebnisse repetiert und so entschärft werden, dass eine gewisse, stilistische Nonchalance sich einstellt, die zu einem fröhlichen Schweifen einlädt.
  • 2 Punkte für: Lektionen in dunkler Materie – da nirgendwo die Bilder und dichten Szenerien und Ereignisse gestört oder verfremdet werden und der Eindruck von Gekünsteltheit entsteht.
  • 1 Punkt für: 153 Formen des Nichtseins – da die Selbstreflexion als kontinuierliches Mittel, nackte Ehrlichkeit erlaubt und ein Sich-Selbst-zur-Rede-Stellen niemals rhetorisch geglättet wird.

Und so zur vorletzten Kategorie, die beinahe als stillschweigende Summe und Synergieeffekt der vorherigen gelten könnte:

Literarizität:

Hiermit ist gemeint, dass sich ein gewisses, überraschendes, sich verbreiterndes Lesevergnügen einstellt, ein Abenteuer, eine Erweiterung, Entfaltung eines Eigenständigen im Fluss des Buchstaben- und Wortaneinanderreihens, ein Gefüge, das Torbogen gleich, sich gegenseitig stützt, da eine zentrale Idee, die Worte durchfließt und zusammenhält; etwa durch eine Nach-, Nah- und Fernwirkung des Geschriebenen im Erinnern, im Lesen, das sich rekursiv zurückbindet und nachhallende Bedeutungsebenen freigibt.

  • 5 Punkte für: 153 Formen des Nichtseins – da sich erst ganz am Ende die Stimmungslagen zu einem Ganzen zusammenfügen, die Schnipsel und Fragmente aus dem Internet, Zeitungen und Ebay aufeinander verweisen und als Labyrinth erweisen, aus dem das Erzähl-Ich zu entfliehen sucht.  
  • 4 Punkte für: Nordstadt – da sich der Songcharakter erst im letzten Drittel des Buches findet, in Schlaufen und Reihungen parataktisch verfährt und ein Lebensgefühl optimistischer Weite trotz klaffender Schweigespiralen vermittelt und dem Kann nicht-, Darf-nicht, Soll-nicht Paroli bietet.
  • 3 Punkte für: Ist hier das Jenseits, fragt Schwein – da aus der Tristesse in den Himmel, in das Jenseits und zurück ein literarischer Raum sich setzt, der nach dem Lesen weiterschwingt.
  • 2 Punkte für: Lektionen in dunkler Materie – da das Geschwistergespräch zum Ende das Weltall verbindet, den Schmerz, die Angst, die Kürze des Daseins veranschaulicht und auf ein Mehr hoffen lässt.
  • 1 Punkt für: Liebe ist gewaltig – da Juli ein unwahrscheinliches Gleichgewicht findet, das sie zurück in die Freundschaft zu Anikó führt, wo sie sich zum ersten Mal traut, von sich zu erzählen.

Insgesamt also ergibt sich, wie das im Leben nun einmal ist, ein gemischtes Bild voller Gleichartigkeiten, Besonderheiten, die das eine neben das andere stellt, ohne die Einzelheit antasten zu können. Jedes Buch hat sein eigenes Gefüge, seine eigene Stärke. Vor der unvermeidlichen Punktvergabe stellt sich die Punkteliste wie folgt dar:

  • 14 Punkte für: 153 Formen des Nichtseins  
  • 14 Punkte für: Ist hier das Jenseits, fragt Schwein
  • 13 Punkte für: Nordstadt  
  • 12 Punkte für: Liebe ist gewaltig  
  • 7 Punkte für: Lektionen in dunkler Materie  

Die ausgewählten Kategorien scheinen nur Lektionen in dunkler Materie unangemessen gewesen zu sein. Alle weiteren Titel können auf Punkte und Höchstzahl durch die unvermeidlich letzte Kategorie hoffen:

Persönliche Präferenz:

Diese Kategorie ist eindeutig, unverhohlen, moment- und augenblicksabhängig von der Lesart, die ich, wohl oder übel, mich veranlasst gesehen habe, beim jeweiligen Titel zu veranschlagen. Meine persönliche Präferenz, mit 5 zusätzlichen Punkten versehen, gilt:

153 Formen des Nichtseins von Slata Roschal, weil es mich überrascht und trotz massiver Zweifel im Laufe des Lesens mehr und mehr überzeugt hat, bis ich nicht umhin konnte, es als außergewöhnlich in jedem Sinne zu betrachten. So etwas habe ich schlicht noch nicht gelesen, so viel Ehrlichkeit, Wucht und Verletzlichkeit in einem.

Dem Organisationsteam von Das Debüt 2022 wurde also die folgende Punktevergabe mitgeteilt:

  • 3 Punkte für 153 Formen des Nichtseins,
  • 2 Punkte für Ist hier das Jenseits, fragt Schwein,
  • 1 Punkt für Nordstadt.

Gerecht geworden bin ich sicherlich keinem der Bücher, aber alle Bücher haben etwas für mich bereitgehalten, mit welchem ich nicht gerechnet habe und meine Freude und Lust auf Literatur nur bestärkt. Hierfür bedanke ich mich bei allem, den Autorinnen, dem Organisationsteam und den Mitlesenden!

Juli Zeh, Simon Urban: „Zwischen Welten“

Im Räderwerk der Eitelkreiten … Spiegel Belletristik-Bestseller (08/2023)

Der bekannteste Briefroman in deutscher Sprache ist bislang Johann Wolfgang Goethes Die Leiden des jungen Werthers geblieben. Zu den hervorragenden Eigenschaften dieser Romangattung gehört, die Inszenierung, scheinbar in Echtzeit ablaufende Vorstellung von Authentizität. Das Publikum darf sich angesprochen fühlen. Es ist Teil eines privaten Vorganges, einer intimen Geschichte, die sich vor den eigenen Augen entfaltet. Zumeist, um das Erlebnis zu steigern, wird eine auktoriale, die Schriften herausgebende und kommentierende Stimme zugeschaltet. Diese bestätigt vor allem, dass das, was zu lesen ist, der Wahrheit entspricht und vom Publikum skrupellos verfolgt werden darf. Dieses Stilmittel findet in Juli Zehs und Simon Urbans E-Mail- und Whatsapp-Roman Zwischen Welten keine Anwendung. Das Publikum gehört zu einer Art Nachrichtendienst, der ungefragt die Aufzeichnung zweier Privatmenschen tickerartig aufzeichnet. Der Roman beginnt, indem er mit der Tür ins Haus fällt:

17:22 Uhr, Stefan per E-Mail:
Hallo Theresa!
Trotz meines WhatsApp-Terrors von heute Morgen keine Nachricht von dir. Das kann man konsequent nennen. Oder sadistisch. Diese Seite an dir ist neu. Aber ich habe ja gestern Abend viel Neues entdeckt. An dir und an mir.

Juli Zeh, Simon Urban aus: “Zwischen Welten”
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Hermann Hesse: „Narziß und Goldmund“

Auf Schusters Rappen … Nobelpreis für Literatur 1946.

In der Gegenwartsliteratur steht die Mutter oft nicht hoch im Kurs. In Annika Brüsings Nordstadt und Claudia Schumachers Liebe ist gewaltig hassen die Figuren sogar explizit die Mutter. In Toril Brekkes Ein rostiger Klang der Freiheit und Daniela Dröschers Lügen über meine Mutter lässt sich bestenfalls von einer erzählerischen Ambivalenz sprechen, die Geschehenes im Nachhinein wiedergutzumachen versucht. In Annie Ernaux‘ Das andere Mädchen liebt die Mutter die Ich-Erzählerin nicht genug, und in Kim de l’Horizons Blutbuch geraten die Mutter und Großmutter zeitweilig gar zu “Monstren”. Vor diesem Hintergrund ist es eine willkommene Abwechslung in Hermann Hesses Narziß und Goldmund eine andere Art von Erinnerung an die Mutter zu lesen:

Nie in meinem Leben habe ich jemand so geliebt wie meine Mutter, so unbedingt und glühend, nie habe ich jemand so verehrt, so bewundert, sie war Sonne und Mond für mich. Weiß Gott, wie es möglich war, dies strahlende Bild in meiner Seele zu verdunkeln und allmählich diese böse, bleiche, gestaltlose Hexe aus ihr zu machen, die sie für den Vater und für mich seit vielen Jahren war.

Hermann Hesse aus: “Narziß und Goldmund”
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Arno Geiger: „Das glückliche Geheimnis“

Künstler oder Nicht-Künstler sein … Spiegel Belletristik-Bestseller (07/2023)

Ein entscheidender Hinweis findet sich direkt auf der Titelseite von Arno Geigers neuestem Buch Das glückliche Geheimnis: Dort steht nur der Verlag und keine Gattungsbezeichnung. Es handelt sich also nicht um einen Roman oder um eine Erzählung. Und in der Tat, wiewohl das Buch in der Belletristik Bestseller-Liste geführt wird, ordnet es sich in die Reihe der Sachbücher/Autobiographien ein. Buecheratlas nennt es eine autobiographische Erzählung. „Der Autor schont sich ganz und gar nicht“, was „zu vielen aufschlussreichen Passagen“ führt. Für literaturoutdoors ist es “Seite um Seite ein Mitgerissenwerden in Neugierde und Spannung“, wobei feinerreinerbuchstoff es aufgrund seiner „Lebensweisheiten“ und Alltagsbetrachtungen „einem ruhigen, leisen, unaufgeregten und liebevollen Schatzkästchen“ gleichsetzt und leckerekekse unsicher bleibt,  „wie offen und wahrheitsgetreu diese Erzählungen und Berichte sind, aber unterhaltsam sind sie auf jeden Fall.“ Arno Geigers Das glückliche Geheimnis sperrt sich also gegen eindeutige Zuordnungen und dies hat viel mit der zugrundeliegenden Ambivalenz des Ich-Erzählers zu tun, der sein Doppelleben bloßlegt:  

In der Welt der Geheimnisse gibt es jetzt ein Geheimnis weniger. Ein glückliches Geheimnis ist gelüftet. Der dunkle Deckmantel meines Doppellebens liegt am Boden. Weil ich es so will. Und warum? Um zu versuchen, endlich der zu sein, der ich bin? Oder um mich endgültig abzusondern und zu sagen, ich gehöre nicht zu euch? Vermutlich ein bisschen von beidem. Auf alle Fälle erfordert es Überwindung, mich zu zeigen.

Arno Geiger aus: “Das glückliche Geheimnis”
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Annika Büsing: „Nordstadt“ [Das Debüt 2022]

Die Stimmen zu Annika Büsings Debütroman Nordstadt konstatieren einhellig, um es mit literaturundfeuilleton zu sagen: „eine flotte, unverblümte Sprache, die der prävalent vorherrschenden Gewalt voranschreitet.“ Büsing thematisiert prekäre soziale Konstellationen und Bedingungen, in denen sich ihre Figuren, ohne einen Ausweg zu sehen, wiederfinden. Hierfür setzt sie als „das sich wiederholende Element die Ironie“ ein, wie es aufklappen fasst, und literaturgefluester betont, dass die Sprache „manchmal ein wenig altmodisch“ wirkt und „manche eindrucksvolle Metaphern“ mehrmals zitiert werden. Wiederholungen und Thema ergeben einen eigenen „Sound“, denn Büsing „scheut sich nicht, Begehren in Worte zu fassen und entwickelt für ihre Heldin einen unangepassten, manchmal rotzigen und bisweilen sehr dem Mündlichen abgelauschten Ton“, wie auf buch-haltungen steht. Büsings Protagonistin nimmt tatsächlich kein Blatt vor den Mund:

Ich wurde schon alles Mögliche gefragt: Hast du einen Freund? Stehst du auf blasen? Hast du eine Schwester? Sind deine Brüste echt? (Wobei die Frage wirklich bescheuert ist! Meine Titten sehen nicht aus wie gemacht. Und sie sind auch nicht so groß wie gemachte Titten. Ich behaupte einfach mal, wer meine Titten nicht von gemachten Titten unterscheiden kann, der hat noch nicht viele Titten gesehen.) Könntest du das weiße Shirt mal mitbringen, wenn wir ficken?

Annika Büsing aus: “Nordstadt”
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Moritz Baßler: „Populärer Realismus“

Pop gegen Populismus …

Interpretationsmodelle (4): Alle wissen, dass sich über Geschmack trefflich streiten lässt, ob als stehende Wendung in Latein oder als Lied „Jede Jeck is anders“, was dem einen seine Eul‘ ist dem anderen seine Nachtigall. Literaturkritik leistet ihren eigenen Beitrag und verteilt gerne Prädikate und Preise in der kaum zu übersehbaren Flut von Neuerscheinungen. Wie interesseleitend und hilfreich bei der Lektüreauswahl diese dann auch sind, lässt sich schwerlich abschätzen und nur im Einzelfalle überprüfen. Literaturwissenschaft geht auch hier und da einen anderen Weg. Sie versucht dann zusammenfassende Oberbegriffe für Literaturfelder zu finden, um dem Chaos der Neuerscheinungen ein wenig Einhalt gebieten zu können. Moritz Baßler schlägt in Populärer Realismus seinem neuen und gleichnamigen Buch einen solchen vor:

Der Populäre Realismus ist ein Erzählen nach den audiovisuellen und heute auch nach den digitalen und sozialen Medien.

Moritz Baßler aus: “Populärer Realismus”
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Claudia Schumacher: „Liebe ist gewaltig“ [Das Debüt 2022]

Das Cover von Claudia Schumachers Debütroman zeigt eine in Öl gemalte junge Frau. Sie liegt kopfüber und schaut aus dem Bild heraus und schaut in ihr Publikum. Sie schaut still und unbesorgt, ihre Wange hinhaltend. Neben den rotgeschminkten Lippen prangt der Romantitel Liebe ist gewaltig. Wie in der Danksagung zu finden ist, handelt es sich um einen Ausschnitt aus Xenia Hausners Gemälde Baywatch. Die warmen Farben, das friedliche Motiv und das Kopfüber-Stehen deuten auf eine tieferliegende, fast prästabilierte Harmonie hin. Nur der stoische Blick der Frau lässt einen Widerstand vermuten. In ihm liegt etwas Unbestechliches, etwas Nüchternes, Zeitloses, aber auch Hinnehmendes. Im Roman jedoch geht es gleich hart zur Sache:

Papa schlug Bruno mit der Faust ins Gesicht. Aufs Auge. Auf die Lippen. Bruno winselte vor Schmerz und vor Demütigung, presste dazwischen Sätze raus wie: Papa, ich hab‘ doch nichts gemacht, Papa, hör auf, Papa, ich wollte das nicht, Papa, Papa, bitte, bitte. Und irgendwann lag er auf dem Boden. Sein linkes Auge geschwollen. Blut am Mund. Papa kickte ihm brüllend gegen den Kopf. Mit Schuhen, die er sich extra dafür angezogen hatte.

Claudia Schumacher aus: “Liebe ist gewaltig”
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