Florian Illies: „Liebe in Zeiten des Hasses“

Kulturjournalistisches Futurum II einer unverbindlichen Geschichtsschreibung … Spiegel Sachbuch-Bestseller 42/2021

Sprachlich versierte Zuhörer und Zuhörerinnen können im Rheinland eine neue Erzählzeit und Erzählform erlauschen, das narrative Futurum II des Rheinländers, der beispielsweise „dort gewesen sein wird, ohne sich etwas dabei gedacht zu haben, um es sich dort dennoch ordentlich hat gutgehen lassen können.“ Florian Illies gelingt ein ähnliches Kunststück, ein Zwischen-den-Zeiten-Journalismus, der über Vergangenes redet, als wäre es noch nicht eingetreten, und so Geschichten erzählt, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Ein Niemandsland zwischen Feuilleton und Literatur, schwerelos zwischen Vergangenheit und Fiktion, ein Hauch von Dokumentation, die sich den Spaß am Fabulieren dennoch nicht nehmen lassen möchte, und nicht nehmen lassen kann, denn „Liebe in Zeiten des Hasses“ ist keine Geschichtsschreibung und keine Literatur und auch kein Bericht. Es ist eine Loseblattsammlung von Zitaten, die von einer mehr oder weniger hilflosen Begleitstimme zusammengehalten wird.

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Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau“

Eine Odyssee zwischen Mut und Ohnmacht … Deutscher Buchpreis 2021

Auktoriale Romane über Gewaltverbrechen pendeln notgedrungen zwischen den Extremen: zwischen Voyeurismus und Verzweiflung. Die meisten beuten das Geschehnis aus. Das Skandalon, die physische und psychische Gewalt obsiegt und bedient die Sensationslust. Die anderen ergeben sich zumeist der Ohnmacht und gleichen einem Stoßgebet, es möge Gerechtigkeit auf Erden herrschen, es möge sich nicht wiederholen. Die einen nehmen also für sich in Anspruch, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, um das pädagogische Potenzial des Schreckens und Erschreckens zu entfachen (als hervorragendes und fehlgeleitetes Beispiel hier: „Der Heimweg“ von Sebastian Fitzek); die anderen appellieren an die emotionale Macht der Sprache, um gegen Gewalt Einspruch zu erheben, um Kommunikation zu ermöglichen, wo Stummheit die Opfer nur ein weiteres Mal verwunden würde (so schmerzhaft in „Raum“ von Emma Donoghue vorexerziert). Von allen typischen Varianten gelingt Antje Rávik Strubel mit „Blaue Frau“ der bestmögliche Ausweg aus einer selbstgewählten Unmöglichkeit und ausweglosen Aufgabe: das Metalyrische.

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