Hanna Bjørgaas: „Das geheime Leben in der Stadt“

Das geheime Leben in der Stadt
Eine sehr entspannte, konstruktive, freundliche, weitreichende Zeitgeistkritik

Die Blickweise auf die Umwelt erhält viel Aufmerksamkeit, sobald es die Verhältnisse zwischen Menschen betrifft. Das eigene Verhalten zur Umwelt, die geradezu synästhetische Position im eigenen Weltgeschehen findet viel seltener Zuspruch und Aufmerksamkeit. Hier wird das Selbst zu seinem eigenen Anderen, reflektiert rückhaltlos über sich und seinen Bezug, seine Aufmerksamkeit für das, was sein eigenes und kein anderes Selbst umgibt. Nicht die anderen, sich selbst betrachtend erforscht es in der Bewegung den eigenen blinden Fleck. Michael Crichton hat so etwas in Im Kreis der Welt in Bezug auf einen Kaktus getan. Douglas Adams in Die Letzten ihrer Art für die vom Aussterben bedrohten Tiergattungen wie den Komodowaran. Humberto R. Maturana hat diese zweite Reflexion in Biologie der Realität reflektiert. Hanna Bjorgaas wendet diese Form der Selbst- und Fremderforschung in Das geheime Leben in der Stadt auf das Leben in der Betonwüste an und erweitert so den Blick auf diese, für viele bestimmende moderne Daseinsweise:

An meinem ersten Tag wieder zurück in Oslo hatte ich keine anderen Pläne, als meinen Jetlag durchzustehen. Ich lief durch die Straßen und versuchte anzukommen. Die Tauben vor der U-Bahn pickten auf etwas herum, das wie ein platt getrampeltes Rosinenbrötchen vom Kiosk aussah. Die Spatzen lärmten in den Ziersträuchern. Alles um mich herum schien allein von Menschen gemacht. Die wunderbare, komplexe Natur, aus der ich gerade zurückgekehrt war [die Pinguine in der Antarktis], war zu dem hier reduziert worden: Spatzen und Stadttauben, harte Oberflächen und rechte Winkel. Eine armselige Landschaft. Ich drehte mich um und wollte nach Hause.

Hanna Bjørgaas aus: „Das geheime Leben in der Stadt“
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Raphaela Edelbauer: „Die Inkommensurablen“

Die Inkommensurablen
Sprachfreudige Ideologiekritik im Vorkriegswien … Longlist des Deutschen Buchpreises 2023

Raphaela Edelbauers neuer Roman Die Inkommensurablen lebt von dem Zauber, den die Moderne Anfang des 20. Jahrhunderts ausstrahlte. Er steht im Zusammenhang mit dem kollektiven Unbewussten eines Carl Gustav Jungs, mit dem Geheimnisvollen der Mathematik des Unendlichen eines Georg Cantors und dem nationalistischen Zeitgeist eines Vorkriegswiens im Jahre 1914, auf das die kommenden Schrecken des 1. Weltkrieges noch warten. Sprachlich und stilistisch stellt sich Edelbauers Roman in die Tradition eines Robert Musils aus Der Mann ohne Eigenschaften, Alfred Kubins Die andere Seite und Hermann Hesses Die Morgenlandfahrer. Zwischen den Zeilen schimmert ein Unbehagen an einem selbstbezogenen ästhetisch-begründeten Hedonismus hindurch, dem David Foster Wallace auf eigenwillige Weise in Unendlicher Spaß eine Absage erteilt. Im Gegensatz zu diesem verbleibt Edelbauer aber ganz und gar klassizistisch:

Wer die Karlskirche betritt, befindet sich in zu Stein gewordenem Gedächtnis. Sie ist aber – ganz als hätte ihr Grazer Architekt auch der österreichischen Seele als Ganzem ein Denkmal setzen wollen – nicht nur ein eklektizistisches Kind eines Vielvölkerstaates. Sie ist auch ein Meisterstück abgeschlossener Vereinzelung. Fischer von Erlach orientierte sich beim Bau an den Schriften des Mathematikers Gottfried Wilhelm Leibniz, und so ist die Karlskirche, ganz wie Wien selbst, Monade: fensterlos und gegen Veränderung indifferent.

Raphaela Edelbauer aus: “Die Inkommensurablen”
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Umberto Eco: „Die Insel des vorigen Tages“

Die Insel des vorigen Tages
Die Liebe zur Sprache als Sinnsuche auf den Sieben Weltmeeren …

Umberto Eco, Verfasser von dem Roman Der Name der Rose, aber auch von kulturkritischen Schriften wie Apokalyptiker und Integrierte, besitzt eine ganz eigene Vorstellung vom Genre des Unterhaltungsromans. Seine Bücher spielen mit dem enzyklopädischen Wissen.  Sie setzen nicht Wissen voraus, aber kulturell-historisches Orientierungsvermögen – so scheint es. Wer aber den Wissenschaftler der Semiotik zu sehr in den Gaukler des Erzählens übergehen lässt, verpasst, was den Romanen von Eco, auch in Die Insel des vorigen Tages, vorrangig bleibt, nämlich ungetrübte, sich selbst überlassene, über sich hinausgreifende Sprachfreude:

Jede Woge glitzert in schimmernder Rastlosigkeit, hier windet eine Dampfsäule sich empor, dort gurgelt ein Strudel und reißt eine Quelle auf. Bündel ekstatischer Meteore bilden den Gegengesang zur aufrührerischen und in Donnergetöse zerborstenen Luft, der Himmel ist ein Flimmern von fernsten Lichtern im Wechsel mit tiefster Finsternis, und Roberto schreibt, er habe schäumende Alpen gesehen in schlüpfrigen Furchen, die den Schaum zu Garben verwandelt hätten, und der Ceres Früchte seien in Blüte gestanden zwischen funkelnden Saphiren, und von Zeit zu Zeit seien rotglühende Opale hervorgebrochen, als habe die tellurische Tochter Proserpina das Kommando übernommen und ihre fruchttragende Mutter vertrieben.

Umberto Eco aus: “Die Insel des vorigen Tages”
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Christoph Hein: „Unterm Staub der Zeit“

Unterm Staub der Zeit
Unbewusstes Geschichtserleben … Spiegel Belletristik-Bestseller (April 2023)

Wie in jeder Hinsicht so gibt es auch in Bezug auf Geschichte eine direkte, aggressive Art, sich mit ihr zu befassen, oder Abstufung des Indirekten, bis hin zum sanften Aufmerken. Aggressive Sorten der DDR-Aufarbeitung suchen die Konfrontation wie Anne Rabe in Die Möglichkeit von Glück, Hari Kunzru in Red Pill oder Bettina Wilpert in Herumtreiberinnen. Eine Mittelstellung nimmt Helga Schubert beispielsweise in Vom Aufstehen oder Der heutige Tag ein. Jenny Erpenbecks Kairos oder Christoph Heins Unterm Staub der Zeit gehört einer sehr langsamen, zarten Vergangenheitsaufarbeitung an und steht in der gegenwärtigen Literaturlandschaft als Antipode von Uwe Tellkamps Der Schlaf in den Uhren gegenüer. Im Gegensatz zu diesem fällt Hein die Grenzziehung schwer:

Unsinn, Bert. [Die Abriegelung von Ost-Berlin, von der] der Kerl im Radio erzählt, das geht gar nicht. In Berlin gibt es hundert Straßen, die von Ost nach West und von West nach Ost führen. Selbst wenn sie die alle sperren, dann gibt es noch unterirdisch die U-Bahn und alle möglichen Kanäle. Dann ist da die Spree, ich brauche nur in einer mondlosen Nacht zweihundert Meter zu schwimmen und bin in Westberlin. Da können sie nichts machen. Und außerdem ist da noch die Grüne Grenze, das sind Hunderte Kilometer, die können sie ja nicht mit Stacheldraht verrammeln. Hunderte von Kilometern, nein, da wird es immer genügend Stellen geben, wo man bei Tag und Nacht rüberspazieren kann.

Christoph Hein aus: “Unterm Staub der Zeit”
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Lukas Bärfuss: „Die Krume Brot“

Die Krume Brot
Über Schuld und Unschuld … Georg-Büchner-Preis 2019.

Die Darstellung prekärer Lebensumstände fordert immer wieder das Schreiben und Beschreiben heraus. Soziale Not, der Pranger der Armut, die Fallstricke der Schulden haben schon oft das Gehör und Gemüt von Schriftstellern und Schriftstellerinnen erregt. Nicht erst seit dem Vormärz und Georg Büchner, aber seit ihm besonders und seinem Aufruf „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ im Der Hessische Landbote von 1834 erfreut sich der Naturalismus in der Literatur großer Beliebtheit. In der Novelle Lenz (1835) trifft der Protagonist auf ein krankes Mädchen in einer armseligen Hütte:

In der dämmernden Stube schlief alles, auch das Mädchen war ruhig geworden. Sie lag zurückgelehnt, die Hände gefaltet unter der linken Wange; das Geisterhafte aus ihren Zügen war verschwunden, sie hatte jetzt einen Ausdruck unbeschreiblichen Leidens. Er trat ans Fenster und öffnete es, die kalte Morgenluft schlug ihm entgegen. Das Haus lag am Ende eines schmalen, tiefen Tales, das sich nach Osten öffnete; rote Strahlen schossen durch den grauen Morgenhimmel in das dämmernde Tal, das im weißen Rauch lag, und funkelten am grauen Gestein und trafen in die Fenster der Hütte.

Georg Büchner aus: “Lenz”

Georg-Büchner-Preisträger von 2019, Lukas Bärfuss, befasst sich in Die Krume Brot ebenfalls mit Armut und sozialer Not, aber anders als Georg Büchner in Lenz enthält der Roman keine mystisch-verhängnisvolle Atmosphäre, in der Handlung, Traum, Wahn und Hoffnung verschwimmen könnten. Bärfuss bleibt auf dem Boden der Tatsachen und beschreibt nüchtern den Lebensweg von Adelina, einer italienischen Einwanderertochter in Zürich:

Der Vater liebte das Kind vom ersten Tag an abgöttisch. Adelina, so nannten sie das Mädchen, besaß ein Lächeln, das den Vater heilte, ihn für einen Moment die Verdorbenheit der Welt vergessen ließ und in ein Land ohne Schmerzen entführte.

Lukas Bärfuss aus: “Die Krume Brot”
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Albert Camus: „Der Mythos des Sisyphos“

Der Mythos des Sisyphos
Der Mythos des Sisyphos … Nobelpreis für Literatur 1957

Die französische Variante der Existenzialphilosophie, der Existenzialismus, wurde mehr oder weniger mit dem Roman Der Ekel von Jean-Paul Sartre, der 1938 erschien, aus der Taufe gehoben. Knapp vier Jahre später erschienen von Albert Camus der Kurzroman Der Fremde und im selben Jahr die mehr oder weniger selbst gelieferte Deutung zu diesem Der Mythos des Sisyphos, zugleich einer der Gründungstexte des Existenzialismus. Die endgültige philosophische Begründung erhielt diese philosophische Richtung ein Jahr später, 1943, mit Das Sein und das Nichts von Jean-Paul Sartre, bevor dieser 1946 mit seinem Satz aus Der Existentialismus ist ein Humanismus folgendes Schlagwort bekam:

Gemeinsam ist [allen Existenzphilosophien] die Tatsache, daß ihrer Ansicht nach die Existenz dem Wesen vorausgeht, oder, wenn Sie so wollen, dass man von der Subjektivität ausgehen muss.

Jean-Paul Sartre aus: “Der Existentialismus ist ein Humanismus”

Albert Camus hat sich zeitlebens vom Existentialismus Sartrescher Provenienz distanziert. Im Folgenden nun ein Versuch durch die genaue Lektüre von Der Mythos des Sisyphos, das Missverständnis aufzuklären, das zwischen Camus‘ Selbstauffassung und Fremdzuschreibung besteht, wenn letztere ihn weiterhin beharrlich zum Existentialismus zählt, obwohl dieser 1953 in seinem Tagebuch schreibt:

Zwei gewöhnliche Irrtümer: Die Existenz geht der Essenz voraus oder die Essenz der Existenz. Sie gehen und erheben sich beide im gleichen Schritt.

Albert Camus aus: “Tagebuch 1951-1959” (Frühjahr 1953)
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Terézia Mora: „Das Ungeheuer“

Das Ungeheuer
eine ästhetisch-literarische intensive Widerstandserklärung … Deutscher Buchpreis 2013 und Georg-Büchner-Preis 2018

Terézia Moras Trilogie um den IT-Spezialisten Darius Kopp besitzt als Mittelteil den Roman Das Ungeheuer, der 2013 erschien und mit dem sie im selben Jahr den Deutschen Buchpreis gewann. 2018 folgte der Georg-Büchner-Preis. Mit Das Ungeheuer legt sie eine sehr ungewöhnliche Prosaform vor. Das Buch zeichnet sich durch einen fast mittig sitzenden, auf jeder Seite vorhandenen schwarzen Strich aus, der den Erzähltext rundum Darius und die Tagebucheinträge seiner Ehefrau Flora trennt. Das zentrale Ereignis des Romanes stellt Floras Selbstmord dar. Etwa ein Jahr nach diesem beginnt das Buch mit Darius als Erzählinstanz:

Später legte er immer diese zwei Sachen übereinander: das Riesenrad im ohrenbetäubenden Lärm des Maidkastell’schen Rummels und die Stille in jenen zwei Stunden, die er im Auto im Wald saß, während sie wahrscheinlich schon tot war. Das Riesenrad dreht sich in leiernder Musik, die Liebe meines Lebens hängt im Wald von einem Baum, ich parke nicht weit davon und langweile mich. Das stell dir vor und halte es aus. Sie starb bei strahlendem Sonnenschein, hing einen Tag im Regen und einen halben im kalten Wind. Sie wurde vom Förster gefunden, drei Tage vor ihrem 38. Geburtstag.

Terézia Mora aus: „Das Ungeheuer“
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Helga Schubert: „Der heutige Tag“

Der heutige Tag
Selbstsuche unter Belastung, Liebe und Freiheitswunsch … Spiegel Belletristik-Bestseller (05/2023)

Tod und Krankheit kommen auf diese oder jene Weise fast in allen Romanen vor. Selten jedoch stehen sie völlig im Zentrum des beschriebenen Geschehens. Sie fungieren eher als Rahmen, als Randbegleitung, als eine Form der conditio humana, ein Schatten, der akzeptiert wird, ohne ihn völlig integrieren zu können. Derlei Versuche werden dennoch manchmal erneut unternommen. Hermann Brochs Roman Der Tod des Vergil und Arnold Metzgers philosophisches Hauptwerk Freiheit und Tod gehen dem Verschwinden dieser einer ganzen Welt nach, die mit Krankheit und Tod eines Menschen einhergehen. Helga Schubert geht mit ihrem neuesten Buch Der heutige Tag einen Mittelweg. Weder literarisch-poetisch noch theologisch-philosophisch erzählt die Ich-Erzählerin von ihrem Alltag, der hauptsächlich daraus besteht, eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung für ihren todkranken Ehemann Derden zu leisten:

Ich brachte Derden etwas zu trinken, leerte den Urinbeutel, der am Bett hing, sagte, dass ich nebenan noch schreibe und immer kommen würde, wenn er klopft, schaltete die Nachttischlampe aus, setzte mich auf seine Bettkante, zog das Deckbett über seine schmaler gewordenen Schultern, streichelte seinen Kopf, küsste seine Schläfen, seine Augenlider, er hatte sie schon beruhigt geschlossen, dann ging ich die zwei Stufen zurück zu meinem Arbeitsplatz.

Helga Schubert aus: “Der heutige Tag”
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Birgit Birnbacher: „Wovon wir leben“

Wovon wir leben
Ruf der Freiheit … SWR Bestenliste 04/2023

Birgit Birnbachers neuester Roman, vier Jahre nach ihrem Ingeborg-Bachmann-Preis von 2019, heißt Wovon wir leben. Er gehört zu den Romanen, die das Umziehen, Zurückziehen von der Großstadt auf das Land thematisieren, von der Entfremdung, Anonymität, Geschwindigkeit des Massendaseins also zurück in die vermeintliche Idylle und Sicherheit eines mehr oder weniger nur in Fragmenten bestehenden, aber erhofft unentfremdeten Gemeinsinns. Juli Zehs Über Menschen, Daniela Kriens Der Brand, Kristine Bilkaus Nebenan, Judith Herrmanns Daheim und auch Leona Stahlmanns Diese ganzen belanglosen Dinge behandeln dieses Thema. Birnbacher legt in Wovon wir leben im Gegensatz zu diesen aber ein besonderes Augenmerk auf den Generationenkonflikt:

Ausgerechnet [Mutter] musste das sagen, die nie fortfuhr, lebte, etwas Schönes tat. Aber das sagte ich nicht, oder zumindest nicht so. Dann ergab ein Wort das andere, bis sie irgendwann über den Tisch schrie, als ich schon in der Tür stand, sie habe sich für mich halt einmal etwas Besseres gewünscht, als anderen den Hintern abzuwischen, und dass sie einfach nicht verstehe, wie ich mich freiwillig, freiwillig und ohne Not, für »so etwas« entscheiden habe können. Wo ich alles hätte tun können, ja jetzt noch tun könnte.

Birgit Birnbacher aus: “Wovon wir leben”
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Robert Seethaler: „Das Café ohne Namen“

Das Cafe ohne Namen
Großstadtleben angenehm … Spiegel Belletristik-Bestseller (22/2023)

Unter Erbauungsliteratur galten lange kleine Kompendien hauptsächlich religiöser Natur. Vertreter dieses Genres verpflichteten sich, Mut spendende, Hoffnung einflößende Gefühle in ihrem Publikum zu erwecken. Auch Friedrich Gottlieb Klopstock mit Der Messias und John Milton Verlorenes Paradies rechnen zu dieser Literatur. Mit zunehmender Säkularisierung und Industrialisierung des Buchdruckwesen entstand aus diesem Genre das, was heutzutage Unterhaltungsliteratur heißt, und längst schon nicht mehr auf erbauliche Themen beschränkt ist. Dennoch, ein Teil der Unterhaltungsliteratur behält sich vor, nur Gutes zu berichten, nur vom Freundlichen zu handeln. Jan Weilers Roman Der Markisenmann oder Susanne Abels Stay away from Gretchen und Was ich nie gesagt habe, aber auch Dörte Hansens Zur See lassen sich als Beispiele anführen. Robert Seethalers Das Café ohne Namen gesellt sich dazu:  

Sehr geehrte Herren, Es geht um mein Café am Karmelitermarkt. Ich sage, es ist ein Café, obwohl niemand außer mir es so nennt. Und ich sage, es ist meines, obwohl es mir auf dem Papier nie gehört hat. Vor zehn Jahren war es ein staubiges Loch, jetzt sitzen dort jeden Abend außer Dienstag Menschen, um wenigstens für ein paar Stunden den ganzen Schlamassel um sie herum zu vergessen. Es ist warm, die Fenster sind im Winter dicht und es gibt etwas zu trinken, und vor allem kann man reden, wenn man es nötig hat, und schweigen, wenn einem danach ist.

Robert Seethaler aus: “Das Café ohne Namen”
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