Friedrich Hölderlin: „Der Tod des Empedokles“

Der Tod des Empedokles
Der Tod des Empedokles … naturgesättigter Idealismus auf Abwegen.

Viele Zeitgenossen wie Achim von Arnim sahen in Friedrich Hölderlin eine Art „Mythenseher“. Insbesondere in seinen späten Hymnen und Balladen wie Brod und Wein, Patmos oder Der Rhein (1800-1806) verdichten sich Hölderlins Natur- und Antikenauffassung. Neben seinen Übersetzungen von Sophokles Werken wie Antigone arbeitete er auch einige Jahre an seiner Tragödie Der Tod des Empedokles (1797-1800). Sie blieb unvollendet, in ihrer Fragmentarizität aber strahlt sie eine hochindividuelle Rätselhaftigkeit aus, die viele Sprach- und Philosophieprobleme der Moderne vorausahnt:

EMPEDOKLES.
Vergehn? ist doch
Das Bleiben, gleich dem Strome den der Frost
Gefesselt. Töricht Wesen! schläft und hält
Der heilge Lebensgeist denn irgendwo,
Daß du ihn binden möchtest, du den Reinen?
Es ängstiget der Immerfreudige
Dir niemals in Gefängnissen sich ab,
Und zaudert hoffnungslos auf seiner Stelle,
Frägst du, wohin? Die Wonnen einer Welt
Muß er durchwandern, und er endet nicht.

Friedrich Hölderlin aus: „Der Tod des Empedokles“ (Erste Fassung)

Im Folgenden lege ich die erste Fassung von Der Tod des Empedokles meinem Lesebericht zugrunde. Sie ist von allen möglichen Rohformen und Ausarbeitungen die am weitest gediehene, und als Textgrundlage nehme ich die von Friedrich Beißner erstellten historisch-kritischen Stuttgarter Ausgaben.

Inhalt/Plot:

Friedrich Hölderlin bearbeitet in Der Tod des Empedokles seinen zentralen Topos des Dichters in dürftiger Zeit. Empedokles fühlt sich unter den Menschen in Agrigent einsam. Er fühlt sich unverstanden, nicht gehört, uninspiriert. Er sieht kein Fortkommen für sich. Stagnation und Starre erfüllen und umgeben ihn. Er denkt mit Reue an die Zeit zurück, wo er sein Erdendasein und die Taten und Worte seiner Mitmenschen aufgrund seiner Nähe zu den Göttern noch ertragen hat:

Ich war geliebt, geliebt von euch, ihr Götter,
Ich erfuhr euch, ich kannt euch, ich wirkte mit euch, wie ihr
Die Seele mir bewegt, so kannt ich euch,
So lebtet ihr in mir – o nein! es war
Kein Traum, an diesem Herzen fühlt ich dich
Du stiller Aether! wenn der Sterblichen Irrsal
Mir an die Seele ging und heilend du
Die liebeswunde Brust umatmetest
Du Allversöhner!

Hier ruft Empedokles sein pantheistisches Naturbild an, den Kosmos, der alle lebendigen Dinge ineinandergreifen lässt, der ihn begeistert, zum Dichten und Forschen treibt, der das Wirken und Ineinanderübergehen mit Sinnen und Sinnlichkeit erfüllt. Er fühlt sich aber getrennt von der Natur, von den Kräften, dem Leben. Schuld daran trägt er selbst:

Und du, verbirg dirs nicht! du hast
Es selbst verschuldet, armer Tantalus,
Das Heiligtum hast du geschändet, hast
Mit frechem Stolz den schönen Bund entzweit,
Elender! als die Genien der Welt
Voll Liebe sich in dir vergaßen, dachtst du
An dich und wähntest karger Tor, an dich
Die Gütigen verkauft, daß sie dir,
Die Himmlischen, wie blöde Knechte dienten!

Mit diesem Monolog eröffnet sich die ganze Problematik. Empedokles hat sich vor Agrigents Augen über die Mächte der Natur gestellt, sich eingebildet, er könne über sie verfügen, sie kontrollieren. Hier spielen viele Aspekte eine Rolle: Empedokles als Naturforscher, der meint, die Gesetze mathematisieren zu können; aber auch Empedokles als Dichter, der meint, die Göttlichkeit der Natur sei in Worte fassbar; und auch der Lehrer, der Weise, der sich aufwirft, gut von böse zu unterscheiden und dem Volk den Weg zu weisen. Empedokles grämt sich zutiefst. Eine innere Kluft hat sich in ihm offenbart, und so schockiert es ihn nicht, als der Priester Hermokrates und Archon Kritias die Gunst der Stunde nutzt, um ihn vor den Augen des Volkes zu diskreditieren und aus Agrigent zu verbannen:

[…] Freilich ists
Ein ärmlich Werk, ein blutend Wild zu jagen!
Ich trauerte, das wußte der, da wuchs
Der Mut dem Feigen; da erhascht er mich
Und hetzt des Pöbels Zähne mir aufs Herz.

Empedokles versucht noch die Verbannung seines Schülers und Gefährten Pausanias zu vermeiden, aber vergeblich. Sie ziehen davon. Manche trauern um ihn, aber im Großen und Ganzen steht das Gesetz des Priesters. Empedokles und Pausanias ziehen verbannt zum Ätna, wo sie rasten, nach Einkehr suchen, aber keine finden. Empedokles zieht es ohnehin in die Höhe, zum Kraterrand. Ihm steht der Sinn nicht mehr nach menschlicher Gesellschaft:

Es kehrt
Die schöne Zeit von meinem Leben heute
Noch einmal wieder und das Größre steht
Bevor; hinauf, o Sohn, zum Gipfel
Des alten heilgen Aetna wollen wir.
Denn gegenwärtger sind die Götter auf den Höhn.

Bevor aber Empedokles sich zurückziehen darf, wird er ein weiteres Mal von den Agrigentinern gestört. In Begleitung des Priesters versuchen sie ihn für sich zurückgewinnen, aber vergebens. Empedokles hat mit seinen irdischen Dingen abgeschlossen und lehnt die Krone, die ihm angeboten wird, glattweg ab:

Sei unser Numa. Lange dachten wirs,
Du solltest König sein. O sei es! seis!
Ich grüße dich zuerst, und alle wollens.
EMPEDOKLES. Dies ist die Zeit der Könige nicht mehr.
DIE BÜRGER erschrocken. Wer bist du, Mann?
PAUSANIAS. So lehnt man Kronen ab,
Ihr Bürger.

Nach einer Rede, in der Empedokles das Volk dazu aufgerufen hat, sich selbst zu leiten und zu führen, die Gaben zu teilen und sich selbstbewusst zu erneuern und an dem kosmischen Spiel der Kräfte zu beteiligen, zieht er sich zurück, verabschiedet sich von Pausanias und verschwindet. In seinem Frankfurter Plan fasst es Hölderlin wie folgt:

Bald drauf stürzt sich Empedokles in den lodernden Aetna. Sein Liebling [Pausanias], der unruhig und bekümmert in dieser Gegend umherirrt, findet bald drauf die eisernen Schuhe des Meisters, die der Feuerauswurf aus dem Abgrund geschleudert hatte, erkennt sie, zeigt sie der Familie des Empedokles, seinen Anhängern im Volke, und versammelt sich mit diesen an dem Vulkan, um Leid zu tragen, und den Tod des großen Mannes zu feiern.

Detaillierte Inhaltsgabe

Erster Akt:

  1. Auftritt: Delia (D) und Panthea (PT) reden über Empedokles (E). PT begeistert von E. D erst seit kurzem in Agrigent. PT erzählt davon, wie E sie von einer Krankheit geheilt hat. D erinnert sich an E.s Leistungen bei den Olympischen Spielen als Wagenlenker./li>
  2. Auftritt: Priester Hermokrates (H) und Archon Kritias (K), Vater von PT, beschließen E zu verbannen. Als Anlass nehmen sie seine kürzliche Hybris, sich vor einer Menge als Gott bezeichnet zu haben. H selbstsicher genug, da das Volk auf sein Geheiß zuhause geblieben ist.
  3. Auftritt: E hat seine Inspiration verloren, gibt sich selbst die Schuld, benannt zu haben, was sich nicht benennen lässt.
  4. Auftritt: Pausanias (P), der Freund und Schüler von E, versucht seinen Lehrer zu trösten. Vergeblich.
  5. Auftritt: H verbannt E. E kritisiert H, aus dem Glauben ein Gewerbe gemacht zu haben. Das Volk spricht sich gegen E aus, lässt sich von H aufwiegeln. E fleht das Volk an, seinen Schüler zu verschonen. E verflucht schließlich ganz Agrigent.
  6. Auftritt: E warnt K, seine Tochter PT in Sicherheit zu bringen. Die Umstände bekommen ihr nicht. K und PT sollen ihn begleiten, nach Elis oder Delos. K bleibt unentschieden, will PT aber E.s Grüße ausrichten.
  7. Auftritt: E bedauert, ungeduldig mit seinen Worten gewesen zu sein.
  8. Auftritt: E schickt seine Sklaven in die Freiheit, die lieber bleiben wollen.
  9. Auftritt: PT und D klagen über den Verlust von E, ob seiner Verbannung.

Zweiter Akt:

  1. Auftritt: Auf dem Ätna, P und E suchen Einkehr, sind erschöpft von der Wanderung.
  2. Auftritt: Ein Bauer verweigert ihnen die Einkehr, erkennt in ihnen die Verbannten. E.s Füße bluten.
  3. Auftritt: E zieht es hinauf zum Kraterrand, zum Höchsten, schickt P weg, aber bevor dieser weggehen kann, erscheint H und K und das Volk von Agrigent.
  4. Auftritt: H verkündet die Aufhebung der Verbannung. Das Volk bietet E die Krone an. Er verweigert die Annahme. Das Volk soll über sich selbst herrschen. E hält eine Rede als Testament. K sieht ein, dass er sich geirrt hat.
  5. Auftritt: E und P nehmen Abschied. E schickt P Wein holen.
  6. Auftritt: E allein, im Tode wirkt das Leben wieder in ihm.
  7. Auftritt: PT wundert sich nicht, dass E nicht bei den Sterblichen verweilen wollte.
  8. Auftritt: PT, D und P treffen sich und versuchen sich mit dem Tode E.s abzufinden.

Interpretation:

Hölderlin verfasste seine Werke in äußerster Abstraktion. Die einfache, klare Aussage meidet er um der Sprache, der Poesie, um der Antastbarkeit der Natur willen. Seine Werke, auch Der Tod des Empedokles, werden je nach Interessenslage ausgelegt und verkürzt, um nicht zu sagen, instrumentalisiert, bspw. Peter Weiss in seinem Stück Hölderlin (1971) oder Bertolt Brecht in seinem Gedicht Der Schuh des Empedokles (1939). Weiss, wie viele, interessiert die mögliche Verbindung zu dem Jakobinertum, also jenes Teils der Französischen Revolution, der die Demokratie zu radikalisieren trachtete und auch vor dem Terror der Tugend nicht zurückschreckte. Aus dem Empedokles entwächst ihm einzig der Aufruf zur Basisdemokratie:

Pausanias: Die Handwercker Geselln und
kleinen Händler
in den Städten sehn
Dass überall wo einer wuchert
und Dünckel und Gemeinheit
in der Sprache führt
er unterm Schuz steht
der Herrn in den Palästen
und es war Empedókles
den sie vorüber gehen liessen
der solches ihnen ändern wollte […]

Peter Weiss aus: „Hölderlin“

Empedokles stirbt hiernach, die Krone ablehnend, einen Märtyrertod für die gute, die republikanische Sache. Bertolt Brecht hebt einen anderen Aspekt hervor. In seinem Gedicht Der Schuh des Empedokles kritisiert er die Mythen- und Legendendichtung, die um den Tod des Empedokles und dessen hinterbliebene Schuhe ranken. Bei Brecht wirft sich Empedokles in den Ätna, um dem altersbedingten Siechtum auszuweichen. Um seiner Vergöttlichung entgegenzuwirken, hinterlässt er seinen abgetragenen Schuh am Kraterrand:

Geheimnis umgab ihn. Es wurde für möglich gehalten
Daß außer Irdischem anderes sei, daß der Lauf des Menschlichen
Abzuändern sei für den einzelnen: solches Geschwätz kam auf.
Aber zu dieser Zeit wurde dann sein Schuh gefunden, der aus Leder
Der greifbare, abgetragene, der irdische! Hinterlegt für jene, die
Wenn sie nicht sehen, sogleich mit dem Glauben beginnen.

Bertolt Brecht aus: „Die Gedichte“

Beide Aspekte aber ignorieren eine in jeder Fassung und in fast jeder Szene geäußerten Problematik des Empedokles: Die Versprachlichung des Heiligen, die Hybris des Benennens. Hierin kulminiert die Poetologie Hölderlins – wie lässt sich ehren, besingen, darstellen, ohne zu begrenzen, zu verendlichen, ja, ohne zu beschädigen. Hier einige Stellen von Empedokles selbst gesprochen:

Nein! Ich sollt es nicht aussprechen, heil’ge Natur!
Jungfräuliche, die dem rohen Sinn entflieht!

[…] Die Götter waren
Mir dienstbar nun geworden, ich allein
War Gott und sprach’s im frechen Stolz heraus.

[…] O stille! gute Götter! Immer eilt
Den Sterblichen das ungeduld’ge Wort
Voraus und läßt die Stunde des Gelingens
Nicht unbetastet reifen.

[…] Ha! wüßt ich Bessers nicht, ich lebte lieber
Sprachlos und fremde mit des Berges Wild
In Regen und in Sonnenbrand und teilte
Die Nahrung mit dem Tier, als daß ich noch
In euer blindes Elend wiederkehrte.

Aus den Stellen wird klar, dass es hier um ein tiefliegendes sprachphilosophisches Problem geht: Wie lässt sich etwas, was gesagt wurde, wieder ungesagt machen? Wie lassen sich Namen zurücknehmen? Wie lassen sich verlautbarte Assoziationen wieder von den Dingen nehmen, die auf diesen lasten, sie beschweren? Hölderlin und Empedokles wissen beide keinen anderen Ausweg, ihnen schimmern die Urteile wie Narben in der Welt und beginnen zu schweigen. Empedokles wirft sich in den Krater des Ätna, um wieder eins mit dem Kosmos zu werden, und Hölderlin wird bald darauf gänzlich verstummen und nur noch Gelegenheitsgedichte krakeln, unterschrieben mit „Scardanelli“.

Kommunikativ-literarisches Resümee:

Neben der metaphysischen Sprachskepsis eines Ludwig Wittgensteins:

[Der Leser] muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.
Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.

Ludwig Wittgenstein aus: „Tractatus logico-philosophicus“

und einem Rainer Maria Rilke, der Selbiges wie Hölderlin im Der Tod des Empedokles beklagt:

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Rainer Maria Rilke aus: “Sämtliche Werke” (Band 1, Frühe Gedichte)

erscheint Friedrich Hölderlins Tragödie wie ein Vorbote der modernen Sprachangst und -verwirrung, die zunehmend alle Begriffe verunklart, ineinander übergehen lässt, um den Schnitt, die Besetzung, die Benamsung, die einst vorgenommen wurden, wieder zurückzunehmen. Hierüber lässt sich sehr viel und sehr wenig sagen. Das Sagen selbst erscheint als das Problematische, sobald es benennt und Zusammenhänge zieht, die die Dinge und ihre Erscheinungsweise verändern. Neben dem Schweigen und Monologisieren, dem Rauschen des Diskurses und dem Verstummen deutet Hölderlin noch ein Drittes an:

Die göttlichgegenwärtige Natur
Bedarf der Rede nicht; und nimmer läßt
Sie einsam euch, wo einmal sie genaht

[…] Kennt ihr der Götter Stimme nicht? Noch eh
Als ich der Eltern Sprache lauschend lernt,
Im ersten Othemzug, im ersten Blick
Vernahm ich jene schon, und immer hab
Ich höher sie denn Menschenwort geachtet.

Der Ausweg bestünde darin, die Sprache weder zu über- noch zu unterschätzen, sondern sie als Kommunikation, als Fluidum, als Gedankenanregung, Vernetzung, als Möglichkeitssinn zu bejahen, aber nicht als Dekret und Festlegung mit den Dingen zu identifizieren. Die Identifikation, und sei sie ex negativo, erzeugt die Missverständnisse. Hölderlin, neben der drastischen Gestaltung des Empedokles, rang mit sich und dieser Tragödie. Ihm fiel das Schweigen leichter, aber möglicherweise wäre ein leichteres, verspielteres Reden der günstigere Weg gewesen als der Sprung in den Vulkan:

Wie Menschen sind, so ist das Leben prächtig,
Die Menschen sind der Natur öfters mächtig,
Das prächt’ge Land ist Menschen nicht verborgen,
Mit Reiz erscheint der Abend und der Morgen.

Friedrich Hölderlin aus: „Späteste Gedichte“

Vielleicht hat Hölderlin als Scardanelli am Ende eine gewisse Leichtigkeit gefunden. Vielleicht auch nicht. Die Überbewertung der Sprache vor dem Sinnlichen, das Benennen vor dem Erfahren, das Herausreißen aus Zusammenhängen und das kontextlose vernichtende Urteilen, erscheinen dennoch zurecht bis in die Gegenwart hinein als Tragödie.

tl;dr … eine Kurzversion der Lesebesprechung gibt es hier.

Außerplanmäßig werde ich ab und zu Besprechungen zu Klassikern posten. In diesem Zuge soll nach und nach mein Ein Kanon an Leben und Inhalt gewinnen.
Andere aktuelle und Klassiker-Kurzrezensionen findet sich vorab bereits hier

14 Antworten auf „Friedrich Hölderlin: „Der Tod des Empedokles““

  1. Eine sehr gedankenanregendebesprechung wieder, lieber Alexander! DeineEmpfehlung, spielerischer mit der Sprache umzugehen, um der Alternative Verstummen – Versteinern zu entgehen, trifft bei mir, wie du dir denken kannst, auf weit offene Ohren.
    Zu Empedokles: er war ja nicht nur Dichter und Politiker, sondern auch Naturforscher, dessen „Erkenntnisse“ (u.a. die 4-Elemente-Lehre) bis in die moderne Naturwissenschaft fortwirkten. Damit macht er sich einer abstrakten Naturbetrachtung schuldig, die das Lebendig-Göttliche der Natur angreift, es zu unterwerfen versucht und schließlich vernichtet. Er weiß das und verzweifelt. Er kann, wie Hölderlin sagt, die „Götter“ nicht mehr sehen und hören. Es ist nicht die Benennung (also die Sprache) als solche, sondern die sich darin ausdrückende Beherrschungsabsicht (in Sprache, Naturwissenschaft, Kirche, Staat), die anti-göttlich ist, da sie den „heilgen Lebensgeist“, die immer fortwirkende schöpferische Kraft zu fesseln und sich gefügig zu machen versucht.

    Die politischen Ideen (kein König mehr, Basisdemokratie etc) stammen aus eben dieser Wurzel: Herrschen tötet die lebendige göttliche Kraft im Beherrschten ab und lässt die Kommunikation austrocknen.

    1. Ich habe tatsächlich ein wenig in den Originaltexten von Empedokles gestöbert, was sich noch finden lässt – da gibt es sehr viel zu erkennen und zu holen. Deinen Aspekt habe ich nur nebenher berücksichtigt, das stimmt. Die Mathematisierung der Natur als Beherrschungsmechanismus – aber im Grunde, würde ich sagen, ist es nicht die Methode, es ist die Absolutsetzung derselben, die das Problem ausmacht. Auch als Theoretischer Physiker bin ich stets voller Mystik für die Zusammenhänge, für die Möglichkeiten. Die aufgeklärten Naturwissenschaften wüssten, dass sie nur über Experimente sprechen und eben nicht über die Natur, über den Kosmos. Ich mag den Aspekt, den du herausstreichst sehr. Vielen Dank! Schön, dass dir dieser mir sehr wichtige Post gefallen hat. Er hat einiges von mir abverlangt! Viele Grüße!!

  2. „Die Überbewertung der Sprache vor dem Sinnlichen, das Benennen vor dem Erfahren, das Herausreißen aus Zusammenhängen und das kontextlose vernichtende Urteilen, erscheinen dennoch zurecht bis in die Gegenwart hinein als Tragödie.“ Genau! (und das sagen wir Schreibende, die ohne Sprache nicht sein könnten… Vielleicht hat jener postmoderne Autor recht, der meint, nur ein nicht geschriebener Roman sei ein guter? Vielleicht „wusste“ Scardanelli mehr als Hölderlin?)
    War er, der kaum Erfolge hatte, der zu Fuss vom Schwaebischen nach Bordeaux und zurück wanderte, der allen und am meisten sich selbst in seiner Zeit verkehrt vorkam und nur das Land der Griechen mit der Seele suchte, der so wunderbare Prosa und Verse schrieb nicht ein verkanntes Genie? Wir sollten ihn vermehrt lesen (und uns mit seinem so raetselhaften Leben vertraut machen)
    Danke auch deshab für die Besprechung !

    1. Schön, dass die Besprechung auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Ich denke, da wie wie du – vielleicht haben wir Scardanelli nicht verstanden. Es gibt wenige überzeugende Zeugnisse von seinen letzten Jahren. So oder so lassen sich immer viele Aspekte bei Hölderlin finden, in seinen Oden, Hymnen, Elegien … in seinen Fragmenten. Ich könnte immer wieder darüber nachdenken, Neues und Schönes finden, denn seine Gesänge entziehen sich der schnöden Informationsweitergabe. Sie geben die Lebensintensität wieder. Viele Grüße und Danke für deinen tollen Kommentar!!

  3. Nicht immer kann ich Hölderlin lesen. Meist greife ich zu Hölderlin, wenn ich auf der Suche bin. Wenn ich Gedanken und Empfindungen in mir habe, die mir so deutlich und nüchtern erscheinen, im Versuch, sie zu benennen. Seine Werke in „äußerster Abstraktion“ verfasst, wie Du schreibst, versetzten mich in eine gewisse Stimmung, die es mir manchmal ermöglicht, mich auch ein wenig vom strikten Benennen der Dinge abzukoppeln.
    Für mich ist sein Vermeiden der einfachen, klaren „Aussage um der Sprache, der Poesie, um der Antastbarkeit der Natur willen“ (Deine wunderbar treffenden Worte, Alexander) das, was mir vorschwebt, wenn ich inspiriert bin, ein Gedicht zu schreiben. Ein Ansporn auch das zu vermeiden, was Rilke in seinem von Dir zitierten Gedicht beklagt.
    Ein unerreichbarer Wunsch, den ich mir dennoch als Leitbild bewahre. Denn Hölderlin ist für mich „…die klingende Stufe, auf der „treppenweise das Himmlische niedersteigt“ – Stefan Zweig.
    Vielen Dank für Deine wunderbare, anregende Buchbesprechung!

    1. Ich stimme zu. Hölderlins Mysterium schafft es, einen aus eingeübten Gedankenbahnen zu werfen. Er greift tief in die Sprachzauberei und bringt Seiten zum Klingen, die ansonsten vor sich hin darben. Schönes Zitat von Stefan Zweig, Danke! Mit Hölderlin aber wächst mit der unmöglichen Wirklichkeit auch die Möglichkeit und so bin ich sehr optimistisch, was dein Schreiben betrifft!! Mit Texten wie dem „Hyperion“ oder „Brod und Wein“ an der Seite, was soll da schiefgehen 🙂 Viele Grüße und Danke für deine Assoziationen!

  4. Lieber Alexander, es ist sehr lange her, dass ich mich mit dem ‚Empedokles‘ befasst habe – Danke für Deinen Anstoß, es erneut zu tun! Die Aporie, dass wir nicht versprachlichen können ohne Aneignung und Zerstörung dessen, was wir in Sprache zu fassen versuchen, ist aber meines Erachtens wirklich ein zentraler Gedanke Hölderlins – und in diesem Sinne denke ich auch oft, dass Scardanelli mehr zu sagen hat, als es scheint, auch wenn ich an diesen Texten abgleite, heißt: abrutsche, ohne einen Halt zu finden.

    1. Ja, lieber Lyrifant, das geht mir ähnlich. Ich rutsche an den spätesten Gedichten von Hölderlin sehr oft ab. Ich kann auch nicht viele lesen, irgendetwas Versehrtes spricht mich dort an, rührt mich, lässt mich verstummen, für einen Moment, aber im Zusammenhang mit den Briefen, mit den letzten Fragmenten und diesen aufregenden Übertragungen der griechischen Tragödien, bekommen sie etwas Hellsichtiges und Helles, ja Offenes. Freut mich dass mein kleiner Text ein Anstoß sein kann. Über deine Gedichte freue ich mich sowieso, immer wenn du sie postest oder ich heimlich in deinen Archiven herumsuche! Viele Grüße!!

  5. Danke für die tolle Darstellung! Die Sprache – und immer wieder die Frage was sie kann und was sie darf. In einer mehr und mehr verdinglichten Welt in der Sprache nur noch als Content-Liferant gesehen wird, sind solche Fragen nötiger denn je. Und Hölderlin ein Urgestein, an dem ich mir immer wieder gerne die Zähne ausbeisse…

    1. Danke fürs Vorbeischauen und Lesen 🙂 … Hölderlin bleibt ein Mysterium für mich, und deshalb greife ich immer wieder gerne zu seinen Schriften. Ich nehme ihn mehr und mehr wie ein Naturschauspiel wahr, dessen Sinn ich gar nicht begreifen muss, um es zu genießen! Viele Grüße!!

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