Deutscher Buchpreis 2023: Mein Fazit.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels lobt jedes Jahr zu Beginn der Frankfurter Buchmesse, dieses Jahr am 16. Oktober, den Buchpreis ‚Roman des Jahres‘ aus, um über die Ländergrenze hinaus Aufmerksamkeit für deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu schaffen. Dieses Jahr standen auf der Shortlist die folgenden sechs Bücher, für die ich jeweils ein Zitat herausgesucht habe:

«Aber was ich noch sagen wollte: Wenn jetzt so viele Tiere sterben, kleine Tiere vor allem, also Insekten und Amphibien und Fische und kleines Meeresgetier, dann…», die Kamera suchte ihn, er blickte leer vor sich hin, «… dann verschwindet so das Gewirr, das Gewirk, das, das Dickicht, ja? Die Substanz, das Gewebe, also, dann fällt alles auseinander.» [Donato] schluckte und blickte in die Runde. «Alles auseinander.»

Ulrike Sterblich aus: „Drifter“

In der vierten Klasse stirbt Tills Vater. Später wird gesagt werden, es sei schnell gegangen von der Krebsdiagnose bis zum Tod, und an dieser Logik ist nicht zu rütteln: Er erkrankt, und dann stirbt er.

Tonio Schachinger aus: „Echtzeitalter“

Und dann schlug er weiter in die fellige Blutpfütze, noch mal und noch mal und –
»Stopp, Danny, stopp!« Susanna brach zusammen und kotzte auf den Asphalt.
»Tut mir leid, Baby!«
Er kniete sich neben sie und fasste ihr an die Wange, als würde er sich ihren Kopf in den Schoß legen wollen, aber Susanna drückte seine Hand weg. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus. Mit ihrem Ärmel wischte sie sich die Kotze vom Mundwinkel, drückte sich hoch und knöpfte ihre Hose wieder zu. »Ja.«
»Was, ja?«, fragte Danny.
»Ja, ich bin auch verknallt.«

Necati Öziri aus: „Vatermal“

Eines Nachts, während der Mann schläft, entdeckt sie, dass ein Fenster offen steht. Sie steigt aus dem offenen Küchenfenster, ich steige aus dem offenen Küchenfenster, weil es eine Ich-Erzählung ist, und laufe wie eine Spinne an der Hauswand herum, von einem Fenster zum nächsten. Und wie ich so an der Wand herumkrieche, begreife ich, dass ich keine Frau bin, sondern ein Wesen, das sich auf diese Weise ihren neuen Herrn sucht.

Terézia Mora aus: „Muna“

Meine Mutter entgleitet mir. Sie fließt mir davon, eine innere Blutung, ich muss versuchen, sie festzuhalten, sie wiederzufinden. Ja, sie war erdrückt und entrückt. Unsicher. Unwissend. Es gibt Leute mit einem festen Kern, um den herum sind ihnen Fleisch und Geist gewachsen. Und es gibt Leute wie Maman, die eine Art schwebendes, undefiniertes Wesen haben. Wir sind alle vergänglich, sie aber war vergänglicher, fluider, ungreifbar.

Sylvie Schenk aus: „Maman“

Wir gingen so nebeneinander her und ich war froh über alles, was er sagte. Jeder Satz ein kleiner Fetzen Geschichte, ein kleines Stück vom Anfang. Es kam mir vor, als könnte ich so ein bisschen was verstehen, als würde Opa Paul aus der Vergangenheit ein kleines Stückchen Boden holen, auf dem es sich laufen ließe, auf dem ich Tritt fassen könnte. Aber es war zu wenig. Unsere Schritte nebeneinanderher waren zu vorsichtig. Wir spielten Nicht-den-Fußboden-berühren, ohne zu lachen.

Anne Rabe aus: „Die Möglichkeit von Glück“

Vorgehen:

Wie in meinem Beitrag zum Buchpreis Das Debüt 2022 möchte ich nun anhand einiger Kategorien mein Fazit präsentieren und versuchen, mittels Vergleichen, Analysen und reflektierten Beobachtungsebenen die Kommunikationen über diese Bücher mit- und gegeneinander in Bewegung zu bringen. Das einfache Urteil ‚gefällt/gefällt nicht‘ bleibt lediglich der Ausgangspunkt für eine differenziertere Betrachtungsweise, die zu einem, hoffentlich, überraschenderen Ergebnis kommt und das Urteil im Nachhinein erfolgreich aufhebt, und falls möglich, in ein gelungenes Gespräch überführt und weitergeführt hat, denn im Grunde bleiben alle Romane ja Kommunikationsversuche und -angebote. Bei all dem Folgenden steht der Text selbst, das Wortmaterial im Vordergrund. Zeitgeschichtlichen Referenzen und Intentionen werden nicht nachgespürt, so dass eine Verdachtshermeneutik verunmöglicht wird.

Bei Das Debüt 2022 habe ich 5 Kategorien herangezogen (Narration, Komposition, Sprachgeschmeidigkeit, Literarizität, Persönliche Präferenz). Nach nochmaliger Überlegung möchte ich dieses Mal für den Deutschen Buchpreis in:

  1. Das Erzählte
  2. Die Erzählinstanz
  3. Das Erzählen

unterscheiden, um den Plot (das Erzählte, Inhalt), den Rahmen (die Erzählinstanz, die Beobachtungsebene) und den Stil (das Erzählen, die Sprachästhetik) voneinander abzugrenzen und die Ambiguität von Form-Inhalt zu unterlaufen. Wieder vergebe ich pro Kategorie 1 bis 6 Punkte und zähle danach zusammen.

1. Das Erzählte (der Plot):

Hier ziehe ich die Unterhaltsamkeit in Betracht, die Spannung, die Leseintensität, den Handlungsbogen, das Überraschende, den Witz, den Humor, den Fluss des Narrativen selbst, d.h. wie hat mich das Buch überzeugt, unterhalten, mich mitgenommen, wie gerührt, verärgert, wütend oder müde, träge, gelangweilt, entsetzt, genervt bin ich während des Lesens geworden. Linguistisch geht hier nur das Dargestellte ein, nicht wie es dargestellt worden ist. Ästhetisch betrachtet entspricht dies einer naiven, unreflektierten, einfach zur Kenntnis nehmenden Lesart nullter Reflexion:

Echtzeitalter … berichtet über Schulerfahrungen, über Abiturstreiche, über das Aufwachsen in einer Großstadt mit einer alleinerziehenden Mutter und diversen Problemen mit einem strengen Überlehrer namens Der Dolinar. Weder Überraschungen noch Originalität. (3 Punkte)

Vatermal … der Protagonist liegt schwerkrank im Bett und fürchtet ob seiner Autoimmunkrankheit um sein Leben und schreibt seine Lebensgeschichte auf, um sich dem Vater im Gedächtnis zu halten. Die Story wartet mit ein paar Schockern auf, wie einer Abtreibung durch Tritte und Faustschläge auf den Bauch einer Jugendlichen, wie mit unglaubwürdigen Gesprächen mit einem Einbürgerungsbeamten.  ( 4 Punkte)

Muna … die Liebesgeschichte zwischen zwei ungleich alten Ostdeutschen wird erzählt, die sich nach der Wende aus den Augen verlieren und eine immer wieder abbrechende Sado-Maso-Beziehung führen. Verfrühtes, überraschendes Ende, das trotz aller Klischees überhastet und unvollständig wirkt. (2 Punkte)

Drifter … eine geheimnisvolle Frau mit goldenem Kleid macht das Großstadtleben unsicher und bringt das Leben zweier Freunde durcheinander. Kunterbuntes Erzählen mit großer Intensität, dichten Szenen und überraschenden Wendungen, nicht zuletzt, wie ein Blitz den besten Freund des Protagonisten trifft, dem danach die Haare zu Berge stehen. (6 Punkte)

Maman … die Lebensgeschichte einer Mutter wird wiedergegeben, die zeitlebens durch ihre Herkunft benachteiligt worden ist, nie den Mut aufgab und sich gewitzt zur Wehr setzen konnte. Empathische Nacherzählung und Rekonstruktion eines Frauenschicksals der Sorte, die meist dem Vergessen überantwortet wird. Etwas gelängte, aber berührende Recherche, aber mit dem Twist, dass die Mutter einer Bettlerin zur Flucht mit dem Geld verhilft, das sie von ihrem eigenen missglückten Fluchtversuch übrig behalten hat. (5 Punkte)

Die Möglichkeit von Glück … die Lebensgeschichte des Großvaters mütterlicherseits steht im Zentrum des Romans. Stine erfährt den Lebenswandel und den Opportunismus von besagtem Paul und lässt kein gutes Haar an seinen DDR-treuen Entscheidungen. Gar kein Plot. Kaum Dokumente werden gefunden und Paul kommt nicht selbst zu Wort. (1 Punkt)

2. Die Erzählinstanz (Stimmigkeit):

Hier berücksichtige ich die Stimmigkeit, d.h. wie konsistent bleibt die Beobachtungsebene, wie kompositorisch überzeugend fügen sich die Teile ineinander, wie beliebig, wie sprunghaft, assoziativ, wie nachvollziehbar wird erzählt. Diese Kategorie taucht im Grunde nur auf, wenn im Leseprozess der Inhalt fragwürdig wird, also die Erzählinstanz an Glaubwürdigkeit verliert. Problematisch wird es, wenn Szenen lose in die Gesamtstruktur hinein montiert werden, mal genaue, mal ungenaue Beschreibungen vorliegen, also keine sich ihrer selbst bewussten Erzählperspektive, die sich in erster Instanz reflektiert, vorliegt, bzw. Sprünge, Brüche stattfinden oder Erzählzeiten wechseln ohne Reflexion, Ankündigung und Einbettung, die einen Zusammenhang und so formgebenden Rahmen stiften könnten:

Echtzeitalter … einfaches, sich erinnerndes personales Erzählen, das sehr linear, fast ohne jeden Sprung, von den Ereignissen bis zur Volljährigkeit Tills berichtet. Der gelassene, coole, nüchterne Ton verunsichert aber eher. Dem Erzähler scheint die eigene Erzählung nicht sehr nahe zu gehen. Tiefpunkt: Tod des Vaters und seltsame, herablassende Bemerkungen über den Protagonisten („hätte Till“, „wäre Till“, „könnte Till“). (3 Punkte)

Vatermal … intensives episodenhaftes Erzählen, das zwischen personaler und Ich-Erzählweise hin und her springt, die Erzählzeiten mischt, also Szenen, Episoden ohne wirklichen, außer dem lose vorhandenen familiären, Zusammenhang aneinander montiert. Beliebig durch zu viel Freiraum. Höhepunkt: die kurze Zeit der Teenagerjahre des Ich-Erzählers. Tiefpunkt: Unglaubwürdige Schlagfertigkeit beim Einbürgerungsbeamten. (1 Punkt)

Muna … Ich-Erzählerin, Muna selbst, die sich an ihr Leben zurück erinnert, am Ende selbst Schriftstellerin wird. Linear und konsistent aus ihrer Perspektive erzählt. Gelungene innere Monologe, rhythmisierende Zeitsprünge. Fiebrig, hastig, sprunghaft, wehmütig, hat nur Augen für ihre große Liebe und sieht nichts anderes. Höhepunkt: Munas psychische Zusammenbrüche in Basel. Tiefpunkt: das überhastete, abgebrochene, verklausulierte, rhapsodische Ende. (4 Punkte)

Drifter … Ich-Erzähler, Wenzel, erinnert sich an Vica, die geheimnisvolle Frau im goldenen Kleid. Linear, mit nur wenigen Erinnerungseinschüben, konsistent, schnell, geradeheraus, selbstironisch, freundlich, sich und seinem Unwissen gegenüber erzählt. Höhepunkt: Der Ball im Ranunkelring 92. Tiefpunkt: Irritierendes über Primzahlen. (6 Punkte)

Maman … distanzierte, aber empathische Ich-Erzählerin, die ihrer Mutter und Großmutter nachforscht, sich selbst in Frage stellt. Konzentration auf die Biographie der Mutter. Kurz, knapp. Höhepunkt: Die Affäre ihrer Mutter während des Krieges. (5 Punkte)

Die Möglichkeit von Glück … Ich-Erzählerin, die mit sich und auch mit ihrem Publikum spricht. Die Selbstgespräche in Du-Form sind in kursiv gedruckt. Die Ich-Erzählerin schwebt über ihrer Erzählung, kommentiert, urteilt und mischt Nachrichten, Dokumente, kulturkritische Bemerkungen, die in keinem Zusammenhang mit dem Erzählten stehen, hinein. Höhepunkt: Die Du-Passagen voller geheimnisvoller Selbstvorwürfe. Tiefpunkt: Der Versuch, Schusswaffengebrauch mit mütterlicherseits aufgezwungenem zu heißem Badewasser zu verknüpfen. (2 Punkte)

3. Das Erzählen (Stil)

Hierunter fallen sprachästhetische Besonderheiten, bspw. überraschend gebaute Sätze, Wortverbindungen, Allegorien, intensive Bilder, Metaphern, Sprachmaterialbearbeitungen, die formale Textstruktur. Hier geht alles ein, was der Text mit sich selbst fabriziert, wie der Text seinen Inhalt formal widerspiegelt, wie er sich durch Wortverwendung, Wortformungen selbst reflektiert und dem Lesen selbst neue Sprachhorizonte erschließt, also der Text, in der zweiten Reflexion, selbst thematisch wird, als eigene Geschichte, Geschichtlichkeit, als tragendes, die Erzählung zusammenhaltendes Element, das über sich hinauswächst.

Echzeitalter … direkte, naturalistische, sehr belletristische Schreibweise ohne jeden Anspruch an die Sprache. Sprache als Vehikel einer Erzählung. Tiefpunkt: Ungelenke Metaphern, wie ein Flugzeugflügellicht, das der Protagonist für den Mond hält. (1 Punkt)

Vatermal … harte, obszöne Alltagssprache, die intensive, harsche Szenen erlaubt und diese auch zu Wege bringt, aber dann viel zu sehr sich zurücknimmt und Sprache selbst aufweicht. Sprache, die sich selbst nicht über den Weg traut. (2 Punkte)

Muna … geschliffene, runde, gefällige Sprache. Durchgestrichene Sätze. Ausgeschwärzte Stellen. Bearbeitung der Textoberfläche, die das Ringen der Ich-Erzählerin mit sich selbst thematisiert. Keine wirkliche Sprachmelodie. (4 Punkte)

Drifter … satirische, leichte, humorvolle Erzählweise, die weniger über die Worte als über den Rhythmus, die überraschenden Wendungen besticht. Abwechslungsreiche, detaillierte Beschreibungen, Fülle, Buntheit, Gedrängtheit, aber ohne Poesie. Geradeheraus. (5 Punkte)

Maman … poetische, einfühlsame Beschreibungen, teilweise märchenhaft mysteriös, distanziert, respektvoll. Wenig Hilfsverben, literarische Sprache mit lyrischen Einsprengseln: „Es schneit immer mehr, träge, zerrissene Watte.“ (6 Punkte)

Die Möglichkeit von Glück … journalistische, essayistische Sprache, die nur in der Du-Form romanhafte Form erhält, dort als psychologisch-intensives Selbstgespräch um Selbstfindung und Selbstzerstörung. Sprache hier als Vehikel politisch-motivierter Zeitkritik mit bewusst eingesetzter Eindimensionalität. (3 Punkte)

Fazit:

Die Punkte zusammengezählt ergibt dies für die Buchpreis-Titel:

Echzeitalter7 Punkte
Vatermal7 Punkte
Muna10 Punkte
Drifter17 Punkte
Maman16 Punkte
Die Möglichkeit von Glück6 Punkte

Ulrike Sterblichs Drifter hat bei mir knapp vor Sylvie Schenks Maman die Nase vorn. Vieles aus diesen Büchern klingt noch in mir nach. Beide besitzen etwas Märchenhaftes und Verträumtes, gleichzeitig aber auch Aufrüttelndes und Verstörendes. Müsste ich aber auf den Siegertitel wetten, würde ich, gemäß aktuellem Diskurs und Resonanz, mein Geld auf Anne Rabes Die Möglichkeit von Glück setzen.

Morgen, am 16. Oktober 2023, wird der Siegertitel um 18:00 Uhr auf der Buchpreis-Seite bekanntgegeben.

Ab 24. 10. 2023 geht es dann wieder im Wochentakt auf Kommunikatives Lesen mit aktuellen Bestsellern und Besprechungen von Klassikern weiter. Als Nachtrag zur Longlist wird Teresa Präauers Kochen im falschen Jahrhundert vorgestellt, das es beim Österreichischem Buchpreis auf die Shortlist geschafft hat.

Eine Kurzversion der Besprechung und noch andere aktuelle Kurzrezensionen findet sich vorab bereits hier

27 Antworten auf „Deutscher Buchpreis 2023: Mein Fazit.“

  1. Dein Blog ist wirklich eine Bereicherung für jeden lesenden Menschen, lieber Alexander.
    Ich erinnere mich, dass es auch im vergangenen Jahr eine Übersicht über deine Kriterien zur Analyse gelesener Bücher gab, die ich gut fand. Du hast sie überarbeitet, nicht wahr?
    Diese neue Version finde ich alltagstauglicher und will mal probieren, sie an meiner aktuellen Lektüre anzuwenden. Das könnte mein jeweiliges Leseerlebnis noch intensivieren.
    Danke für diese überzeugenden, sehr lesenswerten Analysen im Überblick. Einen gedeihlichen Sonntag wünsche ich dir.

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Danke, liebe Ule! Ja, ich habe die Kategorien etwas komprimiert – ich denke diese drei Ebenen geben einem Spielraum, um den Eindruck zu differenzieren.

      1.) der Inhalt, der erste Eindruck, bin ich hingerissen, lese ich es vertieft, bin ich irritiert –
      2.) der Erzählrahmen, das Erzählende selbst, ist das Erzählen dicht, reflektiert, hat es einen Rahmen, ist es konsistent –
      3.) und die Erzählform, nimmt die Sprache einen mit, die Textstruktur, klingt, schwingt das Buch in einem unabhängig vom Inhalt oder Erzählrahmen.

      Manche Bücher glänzen nur in einem oder zwei dieser Kategorien, und sind deshalb noch immer Geschenke fürs Lesen. Ich bin froh, dass sie hilfreich erscheinen, und in der Kommunikation werden auch diese Kategorien sich vielleicht noch leicht abwandeln, aber als Dreigestirn scheinen sie mir seit ein paar Monaten sehr gut gelungen, um die Orientierung zu behalten.

      Sonntagsgrüße und viel Sonne wünsche ich dir!

  2. Ich habe letztes Jahr die Buchpreis-Rezensionen aufgegeben, nachdem ich mich da Jahrelang durchgequält habe. Drifter klingt tatsächlich interessant, muss wohl hoffen, dass es gewinnt, unsere Bücherei schafft wohl diesmal nicht alle Shortlist-Titel an.

    Wird aber wohl nicht passieren:

    Parabel für den Buchpreis. Ich bin Juror auf einer Großkatzenschau. Longlist: Ich warte gespannt auf die Endrunden-Teilnehmer.
    Reingeführt werden mehrere Hamster, ein Puma, ein paar Kaninchen, ein abgemagerter Löwe, drei Hauskatzen, eine Marmorkatze. Schon jetzt werde ich dafür angepisst, dass ich freundlich darauf hinweise, das Kaninchen keine Katzen sind.
    Naja, immerhin ist der Löwe dabei, auch wenn man sich einen etwas stattlicheren wünscht.
    Shortlist: Mist, die Kollegen haben den Löwen gleich rausgewählt. Mit dem Kaninchen und den beiden Hauskatzen würde man sich lächerlich machen. Man versucht auf die Wahl der Mamorkatze hinzuwirken (die von mancher Klassifikation immerhin als kleinste Großkatze angesehen wird), aber einige Kollegen tendieren zum Karnickel, weil das so putzig Gras kaut, was dem Publikum gefalle, und außerdem seien Katzen ja Raubtiere – eigentlich eh ein No Go, dieser Bellizismus, den das ausstrahle. Ich lache: „Das was bellt, sind Hunde!“
    Aber eigentlich liegt ja ein Notfall vor. Nix zu Lachen. Vielleicht gelingt es, eine Mehrheit für den Puma zu organisieren. Der ist zwar auch KEINE Großkatze, aber immerhin groß, und Katze.
    Und so läuft das beim Buchpreis. In einem guten Jahr gewinnt der Puma, in einem mittleren ne Hauskatze, in einem schlechten das Karnickel.
    tl; dr: Der Deutsche Buchpreis soll die besten Bücher des Jahres auszeichnen. Er ist nicht als Nachwuchs-Förderpreis, als Zeitgeist-Preis oder ähnliches geplant. Da er gleichzeitig aber vor allem PR-Instrument ist, ist ihm das unmöglich. Er versucht zu antizipieren, womit das Bildungsbürgertum sich wohlfühlen wird. Und manchmal ist das halt ein Karnickel.

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Also, die Parabel finde ich ganz wunderbar. Dies ist eine formidable Art, mit dieser Seltsamkeit umzugehen, die der deutsche Buchpreis Jahr für Jahr abgibt. Mir ist zum meinem Leidwesen aufgefallen, dass du tatsächlich dieses Jahr das Buchpreis-Bloggen aufgegeben hast. Schade, aber verständlich. Auch gibst du nicht ohne Grund desöfteren kund, dass die Literatur eine seltsame, irreversibel erscheinende Richtung in den letzten Jahrzehnten eingeschlagen hat. Ich neige dir zuzustimmen, bin aber dennoch jedes Mal aufs neue entsetzt, dass der Begriff „Roman“ oder „Literatur“ so aufgeweicht wird, dass sogar Karnickel als Großkatzen durchgehen! Danke für den Kommentar! Ich habe gelacht und zugleich, leider auch, nicht nur durchs Lachen, eine Träne verdrücken müssen.

      1. Denke es ist halt für meine Leser auch nicht dauerhaft interessant, weil ich zu diesen sich sehr ähnlichen Büchern auch sehr ähnliche Rezensionen schreibe.
        Da stelle ich lieber Klassiker, Missachtetes aus aller Welt & gute Genretexte vor.

      2. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
        Alexander Carmele sagt:

        Ja, ich weiß das auch sehr an deinem Blog zu schätzen, wiewohl ich deine Besprechungen, zumindest der letzten Jahre, nie eintönig fand. Danke für die vielen guten Lesetipps!

  3. Vielen Dank! Deine Ausführungen sind wirklich hilfreich, um sich trotz aller Heterogenität ein Bild zu machen, anhand dessen die Auswahl zum Buchpreis für mich nachvollziehbarer wird, als es in den Vorjahren der Fall war.

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Es war ein Glück, dass ich bereits drei Bücher der Shortlist bereits gelesen habe, also entschied ich mich für diese Zusammenstellung. Leider fallen die Urteile der Jury sehr vom Himmel (wie so oft), und ich wünschte mir auch eine viel ausführlichere Begründung, die dann nämlich auch wirklich zum Lesen führen würde. Letztes Jahr hätte ich mir bspw. „Dschinns“ von Aydemir als Siegertitel gewünscht. Vielleicht reizt dich ja dennoch ein Buch. Mein persönlicher Favorit: Edelbauers „Die Inkommensurablen“ hat es ja nicht auf die Shortlist geschafft. Das Buch habe ich sehr gern gelesen. Viele Grüße!

      1. Danke, bisher habe ich, soweit ich deinen Rezensionen zufolge das eine oder andere Buch gelesen habe, eine gute Lektüre gehabt. Deshalb werde ich mir auch die „Inkommensurablen“ lesen. Ich bin schon gespannt.

      2. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
        Alexander Carmele sagt:

        Das Buch kann ich bedenkenlos empfehlen. Ich bin sehr gespannt, wie es dir gefällt. Es erlaubt viele Leseweisen und gibt interessante, auch literaturkompositorische Einblicke in diese etwas ver-rückte Wiener Psychoanalyse-Welt. Es freut mich sehr, wenn meine Besprechungen zum Lesen ermuntern. Ich bin jetzt ganz nahe an meinen ersten Arno Schmidt-Lektüren! Viele Grüße!

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Das stimmt schon. Ich werde morgen eines Besseren belehrt werden, und darauf freue ich mich schon 😀 … das mit den Punkten erlaubt auch Überraschungen, ich wusste nicht wirklich, was ich besser, was ich schlechter fand, weil es eben verschiedene gute Punkte gegeben hat, dieses oder jenes Buch interessanter, eindrücklicher zu finden. Wahrscheinlich wird es bei mehr Kategorien auch noch überraschender, aber auch unübersichtlicher. Aber, ja, Lyrik kam wieder nicht vor, ich erinnere mich an ein Kommentar von dir. Stimmt! Viele Grüße!

  4. Auch ich finde deine auf drei komprimierten Kategorien sehr alltagstauglich bzw auch für meine Lektüren geeignet, die ja bei weitem nicht nur im Bereich der „großen Literatur“ angesiedelt sind. Gerade lese ich ein Buch (ein Prix Goncourt) das nach diesen Kriterien sehr gut zu beurteilen sein wird. Ich fand deine Kategorien vom Vorjahr auch sehr durchdacht und informativ, aber zu umfangreich um sie selbst anzuwenden.

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Habe ich genauso empfunden. Drei Kategorien sind gerade noch so im Kopf zu behalten, direkte, indirekte, und vermittelnde Instanz (Inhalt, Stil, Erzählweise, die beides zusammenhält). Alles andere wird zu unübersichtlich. Vertiefen will ich das Verständnis der Kategorien jedoch noch weiter, insbesondere ist ja der Erzählrahmen wichtig – der entscheidet, ob etwas intensiv, spannend, überraschend sein kann, denn, wenn in einem Text alles erlaubt ist, wundert einem auch nichts mehr – oh, ein Komet, na dann … welches Buch liest du? Mohamed Mbougar Sarr? Das wollte ich auch lesen, auch das „Schnelle Leben“. Bin auf deine Eindrücke gespannt. Viele Grüße!

      1. Ja, genau Mohamed Mbougar Sarr, in der deutschen Übersetzung heißt es „die geheimste Erinnerung der Menschen“. Ich schwanke zwischen Begeisterung und Ablehnung, da kommen mir ein paar stützende Kategorien gerade recht. Vor allem die Erzählweise ist zumindest gewöhnungsbedürftig, der Inhalt manchmal faszinierend manchmal geradezu ärgerlich, der Stil gefällt mir sehr. Es muss sich in meinem Kopf noch irgendwie zusammenrütteln …

      2. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
        Alexander Carmele sagt:

        Das liegt hier auch noch bei mir. Ich weiß, was du meinst, ich fand die ersten Seiten dennoch hochinteressant, obgleich etwas verschwurbelt. Ich werde mal auf dein Fazit warten und entscheiden, ob ich es zu Ende lese.

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Das mit dem Buchpreis muss ja auch passen, zufälligerweise hat sich das bei mir dieses Jahr ergeben, obwohl ich im letzten Jahr wenig begeistert vom Buchpreis-Lesen gewesen bin. Das Buch übers Schreiben habe ich immer noch nicht bekommen 🙁 … ich bin auch gespannt, wer gewinnt. Es ist ja auch lustig, unrecht zu behalten 😀

  5. Danke, Alexander und Hut ab mit welcher Konsequenz Du all die Shortlist-Titel in kurzer Zeit gelesen und besprochen hast. Durch Deine ausführlichen Rezensionen und das heutige Fazit fühle ich mich hervorragend vorbereitet für die morgige Verkündung. Ich bin schon sehr gespannt, wer den Preis zugesprochen bekommt. Bei mir liegen „Muna“ und „Die Möglichkeit von Glück“ noch ungelesen auf dem Stapel – beide zählen ja nicht zu Deinen persönlichen Favoriten. Mal sehen, wann sich da für mich der richtige Zeitpunkt zur Lektüre ergeben wird. Einen schönen Sonntagabend und herzliche Grüße!

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Das Gute an meiner Liste, sie lädt hoffentlich zum Mitspielen ein, zum selber Lesen, Ordnen, und da kommen meistens die tollsten Dinge bei heraus. Ich denke, ich gebe einen fairen Eindruck vom Buch selbst. Wie es sich dann in mir entfaltet, das wird auch bei mir vom Lesen zu Lesen anders ausfallen. Viel hängt einfach von den Akzenten ab, „Muna“ hat ja bei mir in erzählerischer Hinsicht nur knapp den zweiten Platz verpasst. „Die Möglichkeit von Glück“ besitzt ja einfach essayistischen, zeitgeschichtlichen Charakter und stellt mehr eine Wortmeldung dar als ein ästhetisches Projekt. Ich denke, Anne Rabe sieht das selbst so, und ich habe hier nur den ästhetischen, literarischen Charakter untersucht und nicht, wie moralisch/politisch/ethisch notwendig eine solche Vergangenheitsbewältigung erscheinen könnte. Freut mich, dass mein Beitrag dich ein wenig vorbereitet hat, morgen ab 18:00 Uhr wissen wir mehr 🙂 Herzliche Grüße und Danke für den schönen Rom-Artikel heute!!

  6. Ich freue mich darauf, beim nächsten Buch diese Techniken anzuwenden.
    Und außerdem bin ich dank dir jetzt gespannt auf den morgigen Tag. Dieser Blog sollte einen Preis bekommen!

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Vielen Dank, Xeniana! Ich denke, diese Kategorien lassen sich als Lesephänomen sehr leicht etablieren, zuerst höre ich der Sprache zu, höre hin, was erzählt wird, dann überlege ich mir, wer es erzählt, und langsam entsteht das Erzählich vor mir, das mit mir spricht, und dann achte auch die Gesten, die Sprache, die Eigentümlichkeiten und gehe der Kommunikativen Praxis nach. Passt für mich sehr gut und gräbt Interessantes aus dem Gehörten/Gelesen heraus. Viele Grüße und Danke für deine Unterstützung!!

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Sylvie Schenks Roman brilliert in der Sprache. Sehr poetisch, feinfühlig, differenziert, obzwar sehr kurz, und daher kaum Roman, aber schön, in vielen Passagen, sehr intensiv. Nach dem Lesen mochte ich diese „Maman“.

  7. So, Schachingers „Echtzeitalter“ ist es geworden – ich hätte (wie Du) meine Wette verloren, ich hätte auch gedacht, dass es Anna Rabes „Die Möglichkeit von Glück“ machen würde, politisch gewollt, nicht wegen der literarischen Qualität – ich hatte aber nur die Portraits von SWR2 gehört … (und Deine differenzierten Besprechungen gelesen und genossen), konnte mir also eigentlich nicht wirklich ein Urteil erlauben. Bisschen merkwürdig fand ich auch, dass die „Autofiktion“ gerade so hoch im Kurs steht …

    1. Alexander Carmele – Ich lese gern, reise viel, laufe Langstrecken, studiere, lerne und bin wissbegierig und interessiert an neuen Erfahrungswelten. Studiert, am Arbeiten, Hobbydenker, Freizeitsportler, offen für moderne Unterhaltung aller Art. Germanistik, Physiker, und blogge herum.
      Alexander Carmele sagt:

      Ja, das ist eine seltsame Entscheidung, die mich auch überrascht. Das Buch, ich weiß gar nicht, es dudelt so vor sich hin, völlig unentschieden im Niemandsland und ohne jedwede sprachliche Intensität. „Die Möglichkeit von Glück“ hatte wenigstens eine sehr nervige, intensive, penetrante Note, die in manchen „Du-Passagen“ sehr viel Verve erzeugte. Schachinger, mir fielen fast die Augen zu. Ich bin immer wieder überrascht, wie weit entfernt ich vom Zeitgeschmack liege 😀 .. „Autofiktion“ ist auch für mich ein Phänomen, vielleicht lese ich mal ein paar Texte dazu und bespreche sie, mit mir innerlich ins Gericht gehend. Ich bleibe dabei, von allen mochte ich „Drifter“ am liebsten. Es hat mir einfach Freude gemacht. Viele Grüße 🙂

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