Schreiben, um sich Luft zu machen, besitzt Tradition. Ein solches Schreiben nähert sich dem Genre des Pamphlets. Es wird geschimpft wie ein Rohrspatz. Es wird angegriffen. Es wird klar gestellt. Die Linie lässt sich von antiken Klassikern wie Ciceros Zweiter Philippischer Rede über Émile Zolas J’Accuse…! bis ins 20. Jahrhundert zu Valerie Solanas SCUMM Manifest und in die Gegenwart mit Virginie Despentes Liebes Arschloch ziehen. Teresa Präauer legt mit Kochen im falschen Jahrhundert eine ebensolche Polemik vor:
Seit ein paar Jahren war die Gastgeberin mit ihrem Partner zusammen, der wiederum mit seinem Smartphone zusammen war. Der Schweizer hatte eine Freundin, konnte aber auch gut alleine sein. Er könne Mixgetränke überhaupt nicht leiden, wiederholte dieser, den Crémant aus dem Elsass würdigend, und hob sein Glas. Santé!
Teresa Präauer aus: „Kochen im falschen Jahrhundert“
Inhalt/Plot:
Die Gastgeberin, von der im obigen Zitat die Rede ist, bleibt namenlos. Sie veranstaltet zusammen mit ihrem Partner einen gemeinsamen Abend in ihrer halb bezogenen, halb aufgeräumten Wohnung für einen Akademikerfreund aus der Schweiz und ein befreundetes Ehepaar, das vor einem Jahr Nachwuchs bekommen hat. Zum Anlass des Treffens hat sie sich entschieden eine Quiche Lorraine zu backen.
Sie schwärmte ihrem Partner gegenüber von einem sommerlich gedeckten Tisch. Von einer einfachen Quiche, einer Flasche Crémant, von Jazzmusik und Wiesenblumen in Vasen. Sie würde das Ehepaar einladen und den Schweizer mit seiner Freundin. Vielleicht auch ein paar andere, mal sehen. Zuerst würde sie aber die Bananenkisten ausräumen, die seit dem Umzug noch im Flur herumstanden.
Keine der Figuren bekommt von Präauer einen Namen. Auch die Wohnung wird nicht klar lokalisiert. Vieles deutet auf Österreich und dort auf Wien hin, aber das bleibt Spekulation, denn die Erwähnung Wiens fällt im Zusammenhang von kulinarischen Eigenarten und Essgewohnheiten ungerichtet und unspezifisch. Die Beschreibung des mehr oder weniger anonymen Pärchenabends wird unterbrochen von Kurzrezepten oder rezeptähnlichen Aufzählungen:
1 Flasche pflanzliches Speiseöl
1 Pfanne
96.000 Barrel Erdöl pro Tag
Sowie von Passagen, in denen die Du-Perspektive wahrscheinlich auf die Erzählinstanz und möglicherweise auf die Gastgeberin selbst gemünzt in Erinnerungen schwelgt, über Reisen spricht, über ihren Instagram-Feed mit Fotos von Speisen sinniert, über die Zeit, die vergeht, darüber, wie ihre Großeltern gewaschen, geputzt, gelebt und sich über Wasser gehalten haben.
Als Kind solltest du manchmal beim Tischabräumen helfen, beim Geschirrabwaschen oder beim Abtrocknen. Ein Geschirrspüler, den es in eurer Küche bereits gab, wurde nicht verwendet. Du warst einundzwanzig Jahre alt, als du das erste Mal mit einem jungen Mann in eine Wohnung, eine Art Wohngemeinschaft, gezogen bist. Seit dieser Zeit hast du immer einen Geschirrspüler besessen, auch in jenen Wohnungen, in denen du später alleine gewohnt hast.
Dieses Allerweltsdu spezifiziert die vielleicht älter gewordene Generation Golf eines Florian Illies, aber auch das wird nicht so recht klar. Später stößt ein US-amerikanisches Pärchen dazu, das dem Abend einen gewissen Kick in Richtung Frivolität gibt und diesen in eine Orgie ausufern lässt. Plötzlich steht die Polizei vor der Tür, aber diese will nur darüber informieren, dass ein Wasserrohrbruch den Innenhof des Hauses sowie den betreffenden Straßenabschnitt geflutet hat. Die Gäste verlassen schlagartig die Wohnung der Gastgeberin, und alles bleibt beim alten:
Die Gastgeberin war froh, dass ihr Partner noch da war, nachdem die Gäste gegangen waren. Er war nicht nur ihr Partner, er war auch ihr Liebhaber, und er war ein wirklich guter Freund. Wenn er hier war, war es meistens ruhig, friedlich und schön. Sie konnten gut miteinander sprechen und lachen, fast immer.
Stil/Sprache/Form:
Kochen im falschen Jahrhundert von Teresa Präauer stellt in vielerlei Hinsicht eine Polemik dar. Zuallererst formal wird der bereits kurze Text durch die vielen Kurzrezepte seitentechnisch in die Länge gezogen, so dass er von Umfang sich mindestens um 32 Seiten erweitert, ohne inhaltlich noch ästhetisch etwas hinzuzugewinnen. Beispielsweise steht auf einer ganzen Seite nichts als
1 Packung Kleenex
und auf einer anderen:
4 Gigabyte
Polemik nicht nur der Form, sondern auch des Inhalts nach. Die Figuren werden überzeichnet, voller vorauseilendem Gehorsam beschrieben, gefallsüchtig, voller Smartphone und Instagram-Interventionen, mit Versuchen, ihr Leben interessant zu gestalten, und zwar mit gutem Musikgeschmack (Jazz) und handwerklichen Einzelstücken als Einrichtungsgegenständen wie ein dänischer Tisch oder ein spezielles Tee-Service aus Porzellan, sowie mit exotischen Gerichten, Gewürzen, Weinen, Schnäpsen und edlen Schaumweinen:
Da sprang der Partner der Gastgeberin mit einem Satz auf, lief in die Küche, rief, der Crémant, riss die Tür zum Tiefkühler auf, zog die Lade heraus, flüsterte, der Crémant, und fluchte und fluchte. Konnte das denn sein, dass man das Glas einer Flasche, tief im Inneren des Eises, knacken hören konnte? Oder war es eine akustische Täuschung gewesen, allerdings eine mit richtiger Schlussfolgerung? Und wie sah er aus, der herrliche Crémant de Limoux aus der Weinbauregion Languedoc, zu Schaum gefroren, teils weiterhin in der Flasche, teils sich bereits aus der Flasche heraus ins Fach vergossen habend?
Da springt nicht nur wenig Schadenfreude zwischen den Zeilen hervor. Nur wird nicht klar, wer beobachtet und aus welcher Perspektive beobachtet und beschrieben wird. Die Passagen bleiben erzähltechnisch im Unnahbaren, als würden die Smartphones die Gäste und die Gastgeberin belauschen, und das Publikum hört unfreiwillig mit. Dagegen jedoch spricht die durchweg aufrechterhaltene indirekte Rede, so dass sich tatsächlich eine memorierende Nacherzählerinstanz zeigt:
Statt jedes Mal beim Nachrichtenhören zu weinen, sei es besser, Geld zu spenden, insistierte der Ehemann. Sie sei, auch wenn das abgeschmackt klinge, so die Ehefrau, zumindest freundlich zu ihrer Putzfrau und habe das Wort Danke in deren Sprache gelernt. Auch darüber hatten sie mit den Amerikanern in der Bar gesprochen.
Auf diese Weise wird der Text vielfach gebrochen und zwar gewollt und bewusst entfremdet. Dies wird an der Komposition ersichtlich, da die Kapitel nicht chronologisch den Abend beschreiben, noch chronologisch Erinnerungen aneinanderreihen. Die Ereignisse widersprechen sich sogar, denn verschiedene Versionen der Chronologie der Ereignisse wird vorgeschlagen:
So in etwa hätte der Abend beginnen können. Aber es wären nicht die zwanziger Jahre des neuen Jahrtausends, das Zeitalter der Smartphones, eine Epoche voll von Ablenkungen und besseren Optionen, wäre auch nur einer der Gäste wirklich pünktlich gewesen. Man halte sich gern alles möglichst lange offen, sagte die Gastgeberin mit gespielter Bitterkeit zu ihrem Partner, während die beiden am gedeckten dänischen Esszimmertisch auf das Eintreffen der Gäste warteten.
In einer Version kommt der Schweizer pünktlich, das Ehepaar viel zu spät, nachdem sie das US-amerikanische Pärchen kennengelernt haben. In der zweiten Version kommen das Ehepaar und der Schweizer zeitgleich, denn sie haben zu Dritt mit dem US-Paar getrunken und bereits Clubsandwiches gegessen. Auch die Kleidung unterscheidet sich:
Die Ehefrau zog schon vor der Tür die Schuhe mit den flachen Absätzen aus, ganz außer Atem sei sie. Sie trug eine gemusterte Seidenbluse zur flattrigen Sommerhose, Brille und kaum Make-up.
Die Ehefrau trug Schuhe mit sehr hohen Absätzen, die Pumps genannt wurden oder Stilettos. Entgegen ihrer Gewohnheit trug sie auch keine flattrige Hose, sondern ein enges kurzes Kleid.
Diese Verfremdung dient dazu, den Abstraktionsgrad noch weiter in die Höhe zu treiben. Nicht nur besitzen die Figuren keinen Namen. Es sind wie das Allerweltsdu auch Allerweltsfiguren, deshalb könnten die Besetzung und Ereignisse in zwei oder in einer Wohnung stattgefunden haben. Eine Rolle spielt es nicht, genauso wenig wo und wann und unter welchen Prämissen genau. Formal und inhaltlich hebelt Präauer in Kochen im falschen Jahrhundert alles Narrative aus den Angeln und räumt den diskursiven Abhub der Gegenwart ab:
Der Ehemann hatte sich Crémant nachgeschenkt und war nicht mehr ganz so ruhig, wie man ihn kannte. Es sei jedem unbenommen, aber es seien Begriffe verwendet worden, die ein Fortsetzen der Diskussion verunmöglicht hätten. Er sagte verunmöglicht, ließ aber aus, was jedem unbenommen sei. Nina Simones tiefe Stimme hörte man dazu singen: Don’t Explain. Der Ehemann hatte in der Aufregung auch Diskurs statt Diskussion gesagt. Aber wer wollte an einem Abend wie diesem mit dem Narrativ, gemeint war die Narration, allzu streng sein?
Präauer überlässt die imaginative Arbeit gänzlich ihrem Publikum und gibt nur ein paar Anhaltspunkte. Deskriptionen bleiben isoliert und finden nicht zueinander. Es bedarf nur der Kategorie „Gastgeberin“ die alle Worte bindet und alle Ereignisse begleitet und den Text lose und äußerlich am seidenen Faden der gesichts- und geschichts -und namenlosen Protagonistin zusammenhält.
Kommunikativ-literarisches Resümee:
Teresa Präauers Kochen im falschen Jahrhundert betreibt eine sich selbst verweigernde Rhetorik, indem sie Figuren inszeniert, nur um sie zugleich der Lächerlichkeit preiszugeben. Dies fängt bereits mit dem Titel „Kochen im falschen Jahrhundert“ an. Es wird nicht klar, inwiefern ein Jahrhundert falsch sein kann, nämlich in Bezug auf was, unter welchem Gesichtspunkt, nach welchem Maß. Hier stößt sie in dieselbe Kerbe wie Maxim Biller in Der falsche Gruß, der zwar klassisch narrativ bleibt, im Gegensatz zu Kochen im falschen Jahrhundert, aber seinen Protagonisten keine Scham und Schande erspart und so ein unaufrichtiges Spiel mit seinem Publikum treibt:
Ich hatte mein Gesicht noch nie besonders gemocht, aber in diesem Augenblick hasste ich es – die viel zu großen, immer wie erstaunt aufgerissenen Augen, die übertrieben hohe Philosophen-Stirn, das kleine, gespaltene Dessauer-Kinn –, und ich fragte mich, wie es sein konnte, dass aus einem hübschen, kecken, auf eine gewinnende Art frühreifen Jungen, der ich früher war, so ein verträumter, steifer Kopfmensch wie ich werden konnte.
Maxim Biller aus: „Der falsche Gruß“
Die Erzählposition gerät in die Schieflage. Die Gefallsucht von Erck Dessauer, der um seine literarische Karriere trauert, sie mit obszönen Gesten gefährdet, steht im Zusammenhang mit der gefallsüchtigen Gastgeberin, die dem erstbesten Kompliment aus dem Munde des US-Amerikaners nachhängt und voller Dankbarkeit jede Vorsicht vergisst:
Quiche, rief der Amerikaner mit US-amerikanischem Akzent, du bist eine gute Gastgeberin! Er lächelte die Gastgeberin freudestrahlend an. Wahrscheinlich war es, weil sie zu viel getrunken hatte, den Crémant, den Wein, die Schnäpse, dass der Gastgeberin in diesem Moment fast die Tränen kamen.
Kurz darauf bricht die Orgie los, und sie und der US-Amerikaner knutschen, während ihr Partner, die Ehefrau und der Schweizer sich gegenseitig Crémant aus dem Bauchnabel schlürfen. Die Abruptheit stellt die Gastgeberin bloß. Auch ihre Sorgen, ihre Bemühungen, den richtigen Eindruck zu machen, wirft ein schambehaftetes Bild auf sie, die eigentlich als verbindliches narratives Element durch den Text führen sollte:
Wie heißt du eigentlich, fragte die Gastgeberin, denn sie hatte es nach dem Begrüßen, wie immer, sofort wieder vergessen. Joe, sagte er. Joe, wiederholte die Gastgeberin schwärmerisch, ein so seltener Name.
Wer nicht weiß, dass Joe einer der beliebtesten und weitverbreitesten Namen der USA ist, liest auch die Bücher nicht, die im eigenen Regal stehen, wie der Text über die Gastgeberin zu berichten weiß. Da bleibt nicht viel mehr als Häme, Fragezeichen und Schadenfreude übrig. Auch dieses Moment verbindet Kochen im falschen Jahrhundert mit Maxim Billers Der falsche Gruß. Die Belastung der individuellen Psychen durch Smartphones, durch Aufmerksamkeitskonkurrenz, durch die Digitalisierung der Existenz hat bereits Oswald Wiener in Die Verbesserung von Mitteleuropa aus dem Jahr 1969 beschrieben:
samtene klänge sind aufgespannte leinen, samtene klänge durchzirpen Oswalds digital subset. mache dich aufmerksam. Oswalds modern analysiert die samtenen klänge der weit, Zeichen und anzeichen, akoasmen, bedeutungen, susurrus aurium, sei’s wie dem auch sei. 2 millionen baud oder mehr, schätzometrisch. ob wir uns dabei das zirpen als geräusch vorstellen oder etwa als färbe, bleibt dahingestellt, desgleichen, weils mir gerade einfällt, ob als gerade oder vielleicht ballistisch, oder gar gar als raumfelder, kosmisch, …. ultraviolett z. b. transkodifiziert oswald in sattes bronze seiner haut, sichtbar jedermann, und exemplarisch belanglos, das war die erste näherung
Oswald Wiener aus: “Die Verbesserung von Mitteleuropa”
In Die Verbesserung von Mitteleuropa zieht sich der Ich-Erzähler aber selbst durch den Kakao, er, sich und alle anderen, die dem kybernetischen Ansturm möglicherweise nicht gewappnet sein werden. Auf diese Weise bricht er die Kritik an dem eigenen Reflexionsvermögen und entwickelt Widerstandspotential daraus. Dieses fehlt in Teresa Präauers Roman Kochen im falschen Jahrhundert völlig. Das Lachen soll einem im Halse stecken bleiben, und das tut es auch, denn der Roman, das Kommunikationsmedium schlechthin, trägt bei zur Schlammschlacht, statt diese zu reflektieren.
tl;dr … eine Kurzversion der Lesebesprechung gibt es hier.
Nächste Woche am 31. Oktober 2023 auf Kommunikatives Lesen:
Bespreche ich anlässlich des vergebenen Nobelpreises für Literatur 2023 Jon Fosses Der andere Name.
Eine Kurzversion der Besprechung und noch andere aktuelle Kurzrezensionen findet sich vorab bereits hier.
Es klingt seltsam dieses Buch. Nichts was ich lesen möchte:) und das trotz des schönen Titels:)
Es ist seltsam – ich denke, es ist zu schnell hinskizziert, so kurz anvisiert. Die Autorin hätte daraus etwas machen können, mit mehr Liebe zum Detail, mehr Mut zur Konstruktion und Ausschweifung. So ist es ein wenig eitle Zeitgeistkritik. Schade.