Moritz Baßler: „Populärer Realismus“

Populärer Realismus
Pop gegen Populismus …

Interpretationsmodelle (4): Alle wissen, dass sich über Geschmack trefflich streiten lässt, ob als stehende Wendung in Latein oder als Lied „Jede Jeck is anders“, was dem einen seine Eul‘ ist dem anderen seine Nachtigall. Literaturkritik leistet ihren eigenen Beitrag und verteilt gerne Prädikate und Preise in der kaum zu übersehbaren Flut von Neuerscheinungen. Wie interesseleitend und hilfreich bei der Lektüreauswahl diese dann auch sind, lässt sich schwerlich abschätzen und nur im Einzelfalle überprüfen. Literaturwissenschaft geht auch hier und da einen anderen Weg. Sie versucht dann zusammenfassende Oberbegriffe für Literaturfelder zu finden, um dem Chaos der Neuerscheinungen ein wenig Einhalt gebieten zu können. Moritz Baßler schlägt in Populärer Realismus seinem neuen und gleichnamigen Buch einen solchen vor:

Der Populäre Realismus ist ein Erzählen nach den audiovisuellen und heute auch nach den digitalen und sozialen Medien.

Moritz Baßler aus: “Populärer Realismus”
„Moritz Baßler: „Populärer Realismus““ weiterlesen

Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau“

Eine Odyssee zwischen Mut und Ohnmacht … Deutscher Buchpreis 2021

Auktoriale Romane über Gewaltverbrechen pendeln notgedrungen zwischen den Extremen: zwischen Voyeurismus und Verzweiflung. Die meisten beuten das Geschehnis aus. Das Skandalon, die physische und psychische Gewalt obsiegt und bedient die Sensationslust. Die anderen ergeben sich zumeist der Ohnmacht und gleichen einem Stoßgebet, es möge Gerechtigkeit auf Erden herrschen, es möge sich nicht wiederholen. Die einen nehmen also für sich in Anspruch, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, um das pädagogische Potenzial des Schreckens und Erschreckens zu entfachen (als hervorragendes und fehlgeleitetes Beispiel hier: „Der Heimweg“ von Sebastian Fitzek); die anderen appellieren an die emotionale Macht der Sprache, um gegen Gewalt Einspruch zu erheben, um Kommunikation zu ermöglichen, wo Stummheit die Opfer nur ein weiteres Mal verwunden würde (so schmerzhaft in „Raum“ von Emma Donoghue vorexerziert). Von allen typischen Varianten gelingt Antje Rávik Strubel mit „Blaue Frau“ der bestmögliche Ausweg aus einer selbstgewählten Unmöglichkeit und ausweglosen Aufgabe: das Metalyrische.

„Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau““ weiterlesen

Eva Menasse: “Dunkelblum”

Gähnende Abgründe im Burgenland … Spiegel Belletristik-Bestseller (36/2021)

Eva Menasses Roman „Dunkelblum“ handelt von den Ereignissen und Geschichten in einem fiktiven österreichischen Dorf nahe der ungarischen Grenze. Die Lokalisierung des Dorfes zeigt bereits, dass das Dorf zwar fiktiv, aber dennoch in die europäische Realität und Geschichte eingebettet ist. Anhand der Geschicke fiktiver Figuren wird das zwanzigste Jahrhundert Mitteleuropas aufgerollt. Schnittstellen, Schmerzhaftes kommt zur Sprache. Als Romangegenwart wählte Menasse das Jahr 1989, als die ersten DDR-Bürger über die österreichisch-ungarische Grenze fliehen und sich das Ende der DDR anbahnt. Vor diesem Hintergrund werden nun alle Fäden aufgenommen, lässt der Roman noch einmal alles Revue passieren, was gemeinhin als zeitgenössische Geschichte bezeichnet wird. Leicht und überschaubar bleibt dabei nichts.

„Eva Menasse: “Dunkelblum”“ weiterlesen

Judith Hermann: “Daheim”

Die Selbstvergessenheit als Utopie ….  (Spiegel Belletristik-Bestseller 15/21)

„Daheim“ von Judith Hermann erzählt Geschehnisse an einem Küstendorf oder -städtchen, in das eine Frau um die Vierzig zieht. Sie lebt allein in einem abseitsgelegenen Haus, arbeitet bei ihrem Bruder (Sascha), der eine der Dorfkneipen führt und eine Beziehung mit einem verrückten Partygirl namens Nike führt, die über drei Jahrzehnte jünger als er ist. Nach einem sehr einsamen Winter zieht eine Künstlerin (Mimi) auf das Nachbargrundstück und eine Freundschaft beginnt. Die Geschehnisse drehen sich um Beziehungs- und Elternprobleme, um Missverständnisse und darum, wie man einen Marder fängt, der sich ins Dachgebälk eingenistet hat. Statt jedoch des Marders fängt die Protagonistin mit der Falle des Bruders ihrer Nachbarin (Arild) Katzen und Vögel, lernt aber dadurch diesen Bruder kennen und beginnt eine Affäre. Es passiert also oberflächlich gesehen nicht viel. Hintergründig jedoch behandelt Hermanns Text die Frage, wie überhaupt so etwas wie Wurzeln, ein Zuhause, wie Vertrauen, ein gefühlsmäßiges Koordinatensystem denkbar sind. Leitmotiv von „Daheim“ ist das Reisen und der Wunsch nach der Möglichkeit, anzukommen.

„Judith Hermann: “Daheim”“ weiterlesen