Niklas Luhmann: „Liebe als Passion“

Entdeckung der Poesie als innere Grenze der Prosa.

Interpretationsmodelle (6): Niklas Luhmann gilt trotz schmissiger Buchtitel wie Liebe als Passion oder Reden und Schweigen als sehr abstrakter Soziologie. Seine systemtheoretische Herangehensweise verunmöglicht einfache, selbstreferenzielle Urteile und verknüpft eher, als dass Fakten isoliert, gegeneinander ausgespielt und Wertparadoxien erstellt werden. Mit Luhmanns Theorie lässt sich keine Ideologie unterfüttern. Sie steht windschief zu herkömmlichen Binnendifferenzierungen und sieht in Meinungen, Urteilen eher den Ausgangspunkt zur Theorieentfaltung als ein wie auch immer anvisiertes Ziel. Verknüpfen, entfalten, verbinden, Zusammenklänge finden beschreibt sein Verfahren, das dennoch, wie eine Anekdote beweist, sehr reale Anfangsgründe besitzt:

[Auf die denkbar blödeste Frage, warum er so funktionalistisch und sachlich denke] antwortete Luhmann, er sei zusammen mit einem befreundeten Klassenkameraden noch in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs eingezogen und in sinnlose Kämpfe verwickelt worden – und auf einmal sei der enge Freund nicht mehr an seiner Seite gewesen, sondern in tausend Teile zersplittert. Und da habe er (Luhmann wechselte in einen halbironischen Ton) sich vor der Alternative gesehen, entweder verrückt zu werden oder so zu denken und zu leben, dass er es jederzeit für möglich halte, dass ein Mensch, ein Subjekt von jetzt auf gleich zersplittert werde. Er habe sich für das Zweite entschieden und sei Systemtheoretiker geworden.

Dirk Baecker et al aus: „Luhmann Lektüren“
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