Isabel Allende: „Violeta“

Isabel Allende: "Violeta"
Ein in der Weltgeschichte … Spiegel Belletristik-Bestseller (32/2022)

Familienchroniken werden in der Literatur oft beschrieben. Der Aufstieg und Fall, die Tragödien und Komödien miteinander verwandter Menschen bilden ein eigenes Universum, ein soziales System, eine Welt für sich. Die Familie fungiert in diesen Romanen wie eine Monade der Gesellschaft, fensterlos, ganz im Sinne von Gottlieb Wilhelm Leibniz, als fraktaler Teil des Ganzen, ein Ganzes für sich, das das Ganze spiegelt und repräsentiert. Es gibt viele Beispiele für diese Art von Roman, wie im letzten Jahr Jonathan Franzens Crossroads, in welchem eine Pfarrersfamilie durch dick und dünn mit- und gegeneinander geht, um sich selbst und anderen auf die Schliche zu kommen. Paradigmatisch für all diese Werke steht möglicherweise Thomas Manns Roman Die Buddenbrooks – Verfall einer Familie. Isabel Allende hat mit ihrem neuesten Roman Violeta, aus dem Spanischen von Svenja Becker übersetzt, eine Art Inversion von Die Buddenbrooks vorgelegt. Der Roman beginnt und endet nicht mit dem Zerfall einer unternehmerischen Großfamilie im Chile der 1930er Jahre:

Zwei Tage nach dem Sturz der Regierung bekam Arsenio del Valle den Gnadenstoß, als man ihn anwies, das große Haus der Kamelien zu verlassen, in dem er und alle seine Kinder geboren worden waren. Man gab ihm eine Woche, um es zu räumen. Außerdem wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wegen Betrugs und Steuerhinterziehung, wie es sein Sohn José Antonio seit langem befürchtet hatte.
Niemand hörte den Schuss in unserem riesigen Haus mit seinen vielen Räumen, wo die Rohre rauschten, das trockene Holz knarzte, die Mäuse verborgen in den Wänden scharrten und die Bewohner ihren Alltagsgeschäften nachgingen. Erst am nächsten Morgen fand ich meinen Vater, als ich in die Bibliothek ging, um ihm eine Tasse Kaffee zu bringen, wie ich es öfter tat, seit die Dienstmädchen entlassen worden waren.

Isabel Allende aus: “Violeta”
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Kalenderwoche 30/31. Lesebericht.

Kalenderwoche 30/31. Lesebericht.

Ich habe viel Zeit auf die Recherche nach Rezensionen, Leseberichten und Sekundärtexten über Elfriede Jelineks Romane verwendet. Erstaunlicherweise nicht viel gefunden. Es gibt eine sehr hilfreiche Besprechung von Andrea Geier auf literaturkritik.de gefunden. Der üblicherweise herangezogene Band Realien zur Literatur von Marlies Janz in der Sammlung Metzler über Elfriede Jelinek beinhaltet nicht die Besprechung von Die Kinder der Toten, und Janz hat nur noch, scheinbar, einen sehr schwer zugänglichen Aufsatz über Jelineks letzten Roman geschrieben. So viel dazu.  Ich befürchte einfach, es gibt nicht viele, die dieses Buch gelesen habe, und das finde ich schade. Andrea Geier schreibt in ihrer Besprechung Lob mit Fußtritten anlässlich der Nobelpreisvergabe für Jelinek:

Zu reden wäre über zu vieles: Über das Projekt der “Entmythologisierung” und eine Programmatik der “Seichtheit”, über Wiederholung und Intertextualität als Strukturprinzip, über Lust an der Übertreibung jenseits der Schmerzgrenze, über Trivialität und Alltagsmythen, Ironie, Parodie und die Lust am Kalauer, über Autorschaft, die mit der Gestik des Verschwindens spielt, über Sprachbeherrschung und Sprachüberflutung, vor allem aber über die Entwicklung einer Schriftstellerin, die sich eben nicht nur mit der Welt, sondern zuallererst mit anderen Texten aus vielfältigen Bereichen und mit dem Schreiben auseinander setzt und dabei stets die formalen Möglichkeiten von Genres und Gattungen ausreizt und sprengt.

Andrea Geier: “Lob mit Fußtritten”
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