Birgit Birnbacher: „Wovon wir leben“

Wovon wir leben
Ruf der Freiheit … SWR Bestenliste 04/2023

Birgit Birnbachers neuester Roman, vier Jahre nach ihrem Ingeborg-Bachmann-Preis von 2019, heißt Wovon wir leben. Er gehört zu den Romanen, die das Umziehen, Zurückziehen von der Großstadt auf das Land thematisieren, von der Entfremdung, Anonymität, Geschwindigkeit des Massendaseins also zurück in die vermeintliche Idylle und Sicherheit eines mehr oder weniger nur in Fragmenten bestehenden, aber erhofft unentfremdeten Gemeinsinns. Juli Zehs Über Menschen, Daniela Kriens Der Brand, Kristine Bilkaus Nebenan, Judith Herrmanns Daheim und auch Leona Stahlmanns Diese ganzen belanglosen Dinge behandeln dieses Thema. Birnbacher legt in Wovon wir leben im Gegensatz zu diesen aber ein besonderes Augenmerk auf den Generationenkonflikt:

Ausgerechnet [Mutter] musste das sagen, die nie fortfuhr, lebte, etwas Schönes tat. Aber das sagte ich nicht, oder zumindest nicht so. Dann ergab ein Wort das andere, bis sie irgendwann über den Tisch schrie, als ich schon in der Tür stand, sie habe sich für mich halt einmal etwas Besseres gewünscht, als anderen den Hintern abzuwischen, und dass sie einfach nicht verstehe, wie ich mich freiwillig, freiwillig und ohne Not, für »so etwas« entscheiden habe können. Wo ich alles hätte tun können, ja jetzt noch tun könnte.

Birgit Birnbacher aus: „Wovon wir leben“

Inhalt/Plot:

Birnbachers Ich-Erzählerin heißt Julia Noch. Der linear erzählte Roman beginnt mit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus. Sie hat den Namen „Schwartz“ mit „Schwarz“ verwechselt, deshalb auf einen falschen Patientenbogen nach Unverträglichkeiten und Allergien geschaut, und einer Patientin ein Medikament verabreicht, das bei dieser einen anaphylaktischen Schock ausgelöst hat. Die Patientin hat überlebt. Das Ereignis bewirkt jedoch bei Julia, die zeitlebens Asthmatikerin gewesen ist, Lungenkollaps, eine Atelektase und dadurch vorübergehende Arbeitsunfähigkeit. Ihr Leben hat sich schlagartig verändert:

Ich hätte auch nicht gedacht, in meinem Alter noch einmal in diese Lage zu kommen, aber seit ich diese ständigen Erstickungsanfälle habe, ist das Gefühl, Mutter zu brauchen, stärker als jemals zuvor. Das alles habe ich [meinem Vater] nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass ich eine Auszeit brauche, und ob ich für einige Zeit zu ihnen kann.

Julias Plan, zurück ins Nest, zu ihrer Mutter zu huschen, geht aber nicht auf, die ist nämlich im wortwörtlichen Sinn über alle Berge und hat ihren ältlichen und griesgrämigen Ehemann im gemeinsamen Haus und den durch eine nicht behandelte Meningitis geistig schwer behinderten Sohn im Sanatorium allein zurückgelassen. Sie weilt nun in Italien und realisiert das, was sie sich auch für ihre Tochter gewünscht hat, ein freies, ungebundenes Leben. Sie schreibt ihrer Tochter einen Brief:

Liebe!
Wie oft würde ich gerne mit dir reden. Hier haben sich die Ereignisse überschlagen. Ich bin nicht mehr bei der Privatbahn. Sergios Eltern haben ein Restaurant in Syrakus, eine kleine Pension ist auch dabei, vier Zimmer. Es ist wie im Traum. Alles ist aus Stein gebaut, und jeden Tag das Meer! Zitronenbäume duften. Ich lerne die Sprache. Gäste kommen. Ich habe Boot fahren gelernt. Besuch mich!

Wovon wir Leben spinnt nun drei Handlungsfäden ineinander. Es gibt im Dorf eine kranke Ziege, die ein Freund des Vaters beim Spiel gewonnen hat und um die Julia sich kümmern soll. Des Weiteren reist ein Städter an, Oskar Marin, mit dem Julia eine Affäre beginnt und der zunehmend Gefallen an ihrem Heimatdorf findet. Zuletzt bemüht sie sich um Kontakt mit der verschollenen Mutter und in diesem Zusammenhang um einen neuen Job als technische Zeichnerin. Alle drei Erzählfäden beschreiben eigene Konflikte und stellen die Frage, wie Julia lernt, sich zu behaupten, wie sie es schafft, ihren eigenen, nicht von den Männern in ihrem Leben erdachten und vorgezeichneten Weg zu gehen, sei es der von Oskar oder der ihres Vaters oder Bruders.

Wie hat [Vater] sich das eigentlich vorgestellt, damals bei der Familiengründung? Er macht eine Skizze, einen Grundriss vom Haus, der Werkstatt und dem Garten, das reicht. Fürs Fleisch und Blut, fürs Gebären, fürs Großziehen, die Sauberkeit und den Dreck, für die Exkremente, die Tränen und den Schweiß waren immer die Frauen zuständig.

Zerrissen von Schuld- und Pflichtgefühlen wabert Julia durch die Idylle, zögert, hadert und geht hart mit sich ins Gericht. Der Vater lässt sich gehen, verwahrlost, will von seinen Frauen versorgt werden. Der Bruder reagiert kaum auf sie, muss gewaschen, gepflegt werden, als das Sanatorium für eine kurze Zeit schließt. Selbstlosigkeit wird überall von ihr gefordert. Nur an der Ziege hat sie wirklich Interesse, mit der sie eine innige Verbindung aufbaut. Die Ziege Elise schreit ständig, herzzerreißend, und treibt die Anwohner in den Wahnsinn. Niemand weiß weshalb:

Bald werde ich zum ersten Mal Zeugin von Elises Schreien. […] Ich ziehe sie zu mir auf den Schoß und lege meine Arme um sie. Sie ist schwer. Ihre Hufe stechen. Sie scheint das zu spüren, legt sich anders hin, liegt so, dass es mich nicht schmerzt. Sie schreit und weigert sich, mich anzusehen, nur ihren Hals lehnt sie wohl gegen mein Haar. Immer wieder suche ich ihren Blick, drehe ihren Kopf, aber sie will nicht, ist ganz in ihrem Schreien, kann nicht anders, kann mich nicht ansehen, kann nicht heraus.

Der Grund des Schreiens findet sein Analogon in Julias Bemühen, zurück zu ihrer Mutter zu finden. Wovon wir leben erscheint so als das Schreien Julias nach ihrer Verbündeten, wie Elise ihre beste Freundin, als Beistellziege, vermisst, sehnt Julia ihre Mutter herbei. Indes kehren die Lebenskräfte in ihr zurück. Großen Anteil daran hat Oskar, mit dem sie schläft, im kalten See badet und langsam wieder Zutrauen in die Welt findet:

Nur Wasser und Wiese. Und Hände. Jeder hat seine Hände. [Oskar] hat seine Hände, ich habe meine Hände, jeder tut, was er tut. Und Ohren, in unseren Ohren die Stimme des jeweils anderen, aber selbst Stimme ist falsch, nur die Atmung, das Hiersein ist es, die Lunge, ein Herz. Zusammen sind wir eine Maschine, nur trotzen wir Zeit und Raum, besser als jeder Mensch.

Kennzeichnend für Birnbachers Roman bleibt diese zagende, zögernde, schwankende Ich-Erzählerin. Sie sucht Schutz bei anderen. Sie benötigt Vorbilder. Aber sie will nicht abhängig sein. Sie will nicht eingesperrt und benutzt werden wie ihre Mutter. Sie will auf eigenen Füßen stehen, empfindet aber Neid, Eifersucht, sobald andere mehr Erfolg, mehr Kraft, mehr Energie als sie haben. Sie fühlt sich unterlegen, ohne dieses Gefühl wirklich zu reflektieren oder gar zu durchschreiten. Statt dessen übt sie vernichtende Selbstkritik an sich:

„Wie [Oskar] da so kniet, denke ich, dass er für das Glück wirklich begabt ist und ich genau gar nicht, obwohl wir wahrscheinlich gleich viel Glück oder Unglück haben, nur dass es ihm überwiegend freudig gleichgültig ist und ich auch an guten Tagen von einem anderen spezifischen Gewicht bin, mich fürchte, hässlich fühle oder schäme, irgendetwas ist da immer.“

Mit ihrer einstigen sehr guten Freundin und Unterstützerin Bea und auch ihrer Mutter, die doch noch auf mysteriöse Weise ins Tal zurückfindet, glimmt am Ende des Buches dennoch so etwas wie ein Hoffnungsschimmer zwischen den Zeilen hindurch.

Und ich, wie ich hier mit meinem Beutel sitze, in meinen Sandalen, bald achtunddreißig Jahre alt, Lehrling am ersten Tag. Ich, ein Stumpf ohne Wurzeln und Blätter, aber wenn der Wind in mich fährt, gibt es Widerstand, vielleicht sogar einen kleinen Gesang.

Stil/Sprache/Form:

Birnbachers Roman Wovon wir leben umfasst 31 Kapitel, zum Teil sehr kurz und knapp, und annähernd 200 Seiten. Ihre Sprache bleibt gedrängt, nüchtern, distanziert und unpersönlich. Eine dicke, gläserne Wand schiebt sich zwischen der Beobachterposition und dem Beschriebenen. Die Welt erscheint wie in einer Schneekugel, idyllisch, als Stillleben oder nature morte:

Die Märzsonne scheint zaghaft auf die blassen Hausfassaden, ein paar zugeklebte Auslagen. Hier war früher die Bank, in der Auslage sitzt noch der staubige Sparefroh, als hätte ihn jemand mit Absicht zurückgelassen. »Dort, mit der Messingbrezel über einer Tür, war der Bäcker«, zeige ich [Oskar]. Die wenigen Häuser, die bewohnt sind, scheinen sich zu ducken, als wollten sie die anderen nicht beleidigen.

Unversehens im Singsang durchbricht hier und da ein krasses Urteil und Werten die Stimmung. Julia will sich nicht einlullen lassen von der todesähnlichen, gleichbleibenden, zeitlosen Stimmung des Dorfes. Sie will von all dem kein Teil sein. Sie zieht sich in sich zurück. Die Arbeitsteilung, Frau im Haus und Mann in der Fabrik, führt zur fortgesetzten Entfremdung und Sprachlosigkeit, zu einem Schweigen, das sich über das ganze Tal legt, eine Stille, die Julia die Luft zum Atmen nimmt und mit gegen sich selbst gerichteten Invektiven auf Abstand zu halten versucht.

Der lange Schatten des bewaldeten Hügels links von uns wölbt sich bis über die Straße und das längst geschlossene Seerestaurant. Hinter dem Wald auf dem Hügel ist unser Haus. Es weckt versöhnliche Gefühle in mir, wie unverändert alles hier ist. Als hätte es auf einen gewartet, während man selbst gelebt und die Dinge verschissen hat.

Der Erzählton von Birnbacher bleibt kalt und kurzgehalten, fast aggressiv. Die klare Einteilung, die einzelnen Kapitel wie Strophen, die übersichtliche Handlung, die klaren Freund-Feind-Oppositionen geben dem Roman etwas sehr Schematisches und Plakatives, Undifferenziertes. Formal bekommt der Roman etwas Nostalgisches, Sentimentales und ahmt auf diese Weise das von Julia immer wieder erinnerte Schlagerlied „Ich bin ganz ich“ von Milva nach, das das zentrale Leitmotiv, es findet mindestens viermal Erwähnung, von Wovon wir leben versammelt:

Ich leb dir nach – du lebst mir vor
Wir leben auch getrennt d’accord
Wir passen in die gleichen Schuh
Was ich auch träume oder tu –
Ich bin ganz ich, ich bin ganz du

Milva aus: „Ich bin ganz ich“ [zitiert nach Birnbacher: „Wovon wir leben“]

In der Simplizität erfolgt auch die narrative Gestaltung des Romans, die keine Zeitsprünge, keine Mehrdimensionalität aufweist. Es wird ganz aus Julias Perspektive erzählt, ohne aber Julia wirkliche Konturen zu geben:

Der einzige Zweck dieses Auftritts war, dass [meine Chefin] die Beinsteiner später ein Gesicht zu dem Vorfall hatte. Sonst hätte die nie und nimmer gewusst, wer ich überhaupt bin. So aber komme ich nicht umhin, mir vorzustellen, wie sie davon erfahren hat und denkt: »Die war das. Die Große mit dem Pferdearsch, die herumgestottert hat, die ist das gewesen.«

Kurz angebunden, voller Zwiespalt dokumentiert Wovon wir leben eindrücklich die Selbstentfremdung Julias, die ein Leben lebt, das sie gefangen hält, viele Jahre in einem Job verbleibt, der ihr keine Freude bringt, eine Affäre mit einem verheirateten Arzt führt, obwohl es für diese nie eine Zukunft gab, und trotzdem erst durch eine äußere Katastrophe und eine eskalierende Krankheit den Mut findet, etwas an diesen, sie niederhaltenden Umständen zu ändern.

Kommunikativ-literarisches Resümee:

Birgit Birnbachers Roman wirkt verstaubt. Milva, das Besingen von der untergehenden Sonne von Capri, der Goethesche Sehnsuchtsort Italien führt zurück in die späten 1960er und frühen 1970er. Nur wenige Zeitindizes existieren in Wovon wir leben. Es bleibt alles gleichbleibend, starr, und hierdurch wirkt die Szenerie beeindruckend leblos und steril. Birnbacher idyllisiert das ländliche Leben im Gegensatz zu vielen Gegenwartsliteraturen gar nicht. Genannt seien hier stellvertretend Juli Zehs Über Menschen oder Judith Herrmanns Daheim. In der strukturell benachteiligten Welt existiert eine Form von Zusammenhalt, die dem Individuum aber eher feindlich als freundlich gesinnt ist. Hier schreibt Birnbacher in der Tradition einer Elfriede Jelinek oder eines Franz Innerhofers. In Schattseite schreibt dieser:

Ich existiere heimlich und muss andauernd Angst haben, dabei entdeckt zu werden. Überall muss ich einen mir unangenehmen Menschen spielen. Meine Existenz besteht aus Flucht, Krachschlagen und unsinnigen Verstellungen. Den Irrtum auflösen, sagte [Josef], den Irrtum auflassen und mitteilen, dass es ein Irrtum ist. Wir warfen noch einmal einen Blick ins Tirolische und rannten einen steilen Hang hinunter.

Franz Innerhofer aus: „Schattseite“

Ein wenig Heimatroman, ein wenig Kolportage- und Ärzteroman, ein bisschen Schlager und Empowerment, mit zugleich vernichtender Sozial- und Geschlechterkritik vermischt, pendelt Wovon wir leben in einem literarischen Niemandsland herum. Vor allem die äußerst knapp gehaltenen Reflexionspassagen geben davon Aufschluss. Literarizität, Worteinfallsreichtum, überhaupt beschreibende Passagen finden sich so gut wie gar nicht. Die Autorin wagt es nicht, der Protagonistin ein reiches Innenleben einzuhauchen, dennoch, wie Alfred Andersch in Die Rote, überzeugt der Plot, das Tempo trotz oder gerade wegen der einfachen, eingängigen und übersichtlichen Sprache. Anderschs Roman thematisiert andere, Nachkriegszeitproblematiken, die Geschlechterfrage jedoch verbindet beide. Wie Julia bei Birnbacher so Franziska in Anderschs Die Rote wehrt sich eine Frau gegen die Versuche diverser Männer, sie zu instrumentalisieren:

[…] wenn [Joachim] mit ihr telefonierte, korrekt angezogen und glatt, spürte sie seinen Haß, den Haß eines Mannes, der wehrlos war, der wollte, daß es weiterging, der schon wußte, daß irgend etwas in seinem Leben zerbrach, wenn es nicht weiterging, der mit dem Mittel des Terrors darum kämpfte, daß seine Gefangene ihm erhalten blieb […] aber sie empfand kein Mitleid, es ist seine Sache, damit fertig zu werden, er tat ihr nur leid, ich habe ihm etwas angetan. Mit der unbewußten Grausamkeit der Frau, die nicht mehr liebt, der Frau, die frei ist, legte sie den Hörer auf.

Alfred Andersch aus: „Die Rote“

Frei in Birgit Birnbachers Roman handelt vor allem die Mutter nach jahrzehntelanger Knechtschaft. Sie reist nach Italien. Sie verwirklicht sich, und am Ende entscheidet sie sich dafür, ihrer Tochter zuliebe, auf einen Teil ihrer Freiheit zu verzichten, auf dass Julia einen neuen Weg beschreiten kann. Idyllisch gestaltet Birnbacher diesen Aufbruchsgedanken in der Sonne Capris:

[Mutter] ist so fröhlich, alles geht ihr leicht über die Lippen. In sanften Böen schickt sie es herüber zu mir, wo ich es einatme, zu einem Eindruck zusammenfüge. »Was ich auch träume oder tu – Ich bin ganz ich, ich bin ganz du« [Milva]. Ich weiß nicht, ob wir das jemals gehabt haben, sie und ich, ohne dass wir schwer gewesen wären von zu Hause. Vielleicht ist es wirklich nur dieses Zuhause, das uns so schwer gemacht hat, das Haus und das Dorf und das Drumherum, vielleicht haben wir […] über die Zeit vergessen, dass wir uns auch einfach erheben und gehen hätten können.

Wie gegen die Musik Milvas, geborene Maria Ilva Biolcati, die über vier Jahrzehnte den Schmerz und das Leid vieler Ehefrauen und Mütter vertont und besungen und zu trösten versucht hat, nichts eingewendet werden kann, so auch nicht gegen Birgit Birnbachers Roman Wovon wir leben. Komplexität, Differenziertheit, Reflektiertheit, Wort- und Fabulierlust spielen dort, wo erst einmal Wunden heilen sollen, keine Rolle. Wut und Mut schaffen erst einmal Distanz, und Mut und Wut benötigt Julia, die, auch noch am Ende des Buches, tief in der Sackgasse eines verlorengegangenen Selbst steckt.

tl;dr … eine Kurzversion der Lesebesprechung gibt es hier.

Nächste Woche am 15. August 2023 auf Kommunikatives Lesen bespreche ich Helga Schuberts neues Buch: Der heutige Tag.

Eine Kurzversion der Besprechung und noch andere aktuelle Kurzrezensionen findet sich vorab bereits hier.

20 Antworten auf „Birgit Birnbacher: „Wovon wir leben““

  1. Das Bild der gläsernen Wand bzw. Schneekugel finde ich großartig – ohne jedoch explizit dieses Buch bisher gelesen zu haben. Aber dieses Lesegefühl bzw. Phänomen der Distanz zu einem Buch oder Text kenne ich gut. Sehr schön formuliert. Eine gute restliche Woche und viele Grüße!

    1. Liebe Barbara,

      ich denke, das hat Birnbacher intendiert. Sie spricht aus einer Stimme, die sich sucht, noch nicht gefunden hat, zu viele Schmerzen stehen dazwischen. Ich müsste Marlene Haushofers „Die Wand“ nochmal gründlich lesen – ich teile diese Leseerfahrung auch. Danke fürs Kommentieren und Danke auch nochmal für die Empfehlung „Das Erbe“. Es hat mir außerordentlich gut gefallen. Ich wünsche auch eine wunderbare Restwoche!!

      Viele Grüße,
      Alexander

      1. Danke, Alexander. Das freut mich sehr, wenn Dir „Das Erbe“ gefallen hat. Ich habe es als sehr entschleunigend und wohltuend positiv empfunden. War dann ja vermutlich ein abwechslungsreicher Kontrast zu etwas schwermütigerer Lektüre wie Birnbachers Buch. Herzliche Grüße! Barbara

  2. Was du beschreibst, klingt so unendlich grau und trist, Alexander. Möglicherweise der dargestellten Lebenswelt ganz angemessen, und so auch ein freudloser Stil des Buches.
    Ganz anders hingegen dein Text, den ich wieder sehr gerne gelesen habe, wenn auch seine Botschaft wenig Beglückendes vermitteln kann.

    1. Ja, leider, aber es gibt Hoffnung, es gibt Glück, es gibt kurze Szenen, die nicht wegdiskutiert werden – aber insgesamt ist es schon sehr traurig. Ich nehme es zum Anlass, den Moment zu bejahen, mich nicht vom Guten abbringen zu lassen. Schön, dass die Besprechung die positiven statt die negativen Seiten des Textes stärkte 🙂 Ich werde das nächste Birnbacher Buch lesen. Viele Grüße!

    1. Ja, das Buch spricht im Grunde am besten für sich. Das stimmt. Es ist auf seine Weise äußerst differenziert und bis zur Schmerzgrenze ehrlich. Dadurch allein hebt es sich schon stark von sehr vielen Büchern ab! Ich habe deine Rezension sehr gerne gelesen und sie war auch ein Grund dafür, es selbst zu lesen. Danke!

    1. Liebe Myriade,

      es ist ein interessantes Buch. Es geht dem Schmerz nicht aus dem Wege, der problematischen Verpflichtung, diesem Gefühl, Menschen verpflichtet zu sein, die sich einem ganz und gar nicht verpflichtet fühlen, und wie mit diesem Gefühl umzugehen wäre. Die Lösung des Buches ist trist – die Entfaltung des Problems aber gelungen, obgleich sprachlich nicht widerständig. Vielleicht läuft es dir ja auf diese oder jene Weise überm Wege 🙂

      Es freut mich, ein wenig Interesse geweckt zu haben! Ich hoffe, ihr habt etwas mehr Sonne bei euch als ich hier im Großstadtgewimmel!

      1. Ich finde trostlose Bücher durchaus interessant und lehrreich. Man muss sich die darin beschriebenen Leben ja nicht zum Vorbild nehmen 😉
        Wir haben derzeit kühle Sonne und gelegentlichen Regen mit schönen Wolkenstimmungen auch über der Großstadt. Aber die Hitze lauert hinter der nächsten Ecke 😉

      2. Ich sehe das genauso. Nur die Trostlosigkeit als Programm, die bringt nichts, aber davon ist Birnbacher weit entfernt 😀 Viele Grüße. Hier schaut die Sonne durch die Wolken hindurch (etwas schüchtern).

  3. Danke auch für die Rezension! Habe das Buch nicht gelesen und werde es auch nicht – vor allem nach dieser Rezension 🙂
    Ich lebe im Übrigen vollkommen im Abseits von Bestsellerlisten, es sei denn manchmal „Shortlists“.
    Mir fiel beim Lesen Deiner Rezension Prinzessin Ateh aus Milorad Pavics khazarischem Lexikon ein. Sie beklagt sich, dass Mütter ihre Töchter „okkupieren“, ihnen alles Eigene rauben, damit sie den Müttern gleich seien…

    1. Interessante Verknüpfung. Ich kannte „Das Chasarische Wörterbuch“ nicht. Ich werde es mir bei Gelegenheit genauer ansehen – hier, bei Birnbacher, ist es eher der Vater, der die Tochter okkupiert. Die Mutter opfert sich sogar.

      Es gibt viele Gründe, sich abseits von Bestsellern zu bewegen, aber auch einige, dies nicht zu tun. Es kommt aufs Interesse an. Mich interessiert der Zeitgeist, der sich in der Sprache, im Rhythmus, im Plot, im Themenwechsel widerspiegelt, aber die Streifzüge ins Unbekannte mag ich auch gern. Viele Grüße!

  4. Zeit wird’s, dir mal für deine akribischen, differenzierten, klugen und sprachlich stets gelungenen Rezensionen zu danken. Ich lese sehr gern hier bei dir! Und die Birnbacher werde ich ganz unbedingt lesen.
    Lieben Gruß aus den Bergen!

    1. Wie toll, aus den Bergen!! Ich freue mich für euch. Ich hoffe, du hast viele Inspirationen und bekommst Rückenwind. Ich lese deine Blogeinträge auch sehr gerne. Mein Versuch bleibt ja, Horizonte zu verschieben, Neues zu entdecken. Es freut mich, wenn die positive Grundstimmung durchkommt. Birnbachers Buch hat viel zu bieten. Das stimmt! Viele Grüße auch an das Fräulein!

    1. Ich hätte auch lieber ein anderes Buch gelesen. Ich schrieb aber „fast aggressiv“ und dies vor allem durch die sehr kurzgehaltenen Sätze, Szenen, die fehlenden Beschreibungen. Aber wie ein Buch wirkt, hat vor allem mit der Interaktion Lesen/Text zu tun. Ich fand die Beschreibung der Figuren einfach unnahbar (die Chefin, den Arzt). Ich konnte mir kein Bild vom Vater (nur von der Verhaltensweise) machen, noch die Freundin verstehen (hab nicht einmal ein Gesicht vor Augen). Dort, wo der Roman für mich emotionale Dichte erzeugt, geht es um die Ziege, das hat mich sehr berührt, und auch beim verendeten Pferd, und die Szene mit der Mutter in Italien mochte ich auch sehr. Ich berichte nur, was ich während des Lesens erlebte – ich bin und war dem Buch sehr offen gegenüber. Viele Grüße!

      1. Danke für die Erläuterungen. Ich bin der Geschichte aufgrund meiner Lebenswelt einfach sehr nah. In allen Schilderungen und Phasen des Buches. Auch in der Sprache.
        Viele Grüße!

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