Abdulrazak Gurnah: „Das versteinerte Herz“

Das versteinerte Herz von Abdulrazak Gurnah. SWR Bestenliste 07/2024.

Der neunte von den bislang zehn veröffentlichten Romanen des Nobelpreisträgers für Literatur aus dem Jahre 2021 erschien im Original 2017 und trägt den Titel Das versteinerte Herz, das sowohl auf Shakespeares Drama Maß für Maß und auf Wilhelm Hauffs Das kalte Herz anspielt, weniger auf Arno Schmidts Das steinerne Herz, mit welchem es beinahe den Titel teilt und auch das Thema, nämlich Ehe und Affären, nur ohne Nachwuchs bei Schmidt, ohne Hedonismus bei Gurnah. Das versteinerte Herz Abdulrazak Gurnahs steht ganz im Zeichen von Entfremdung, Entwurzelung, ja persönliche Dissoziierung in Folge fraglich gewordener kultureller Zusammenhänge, hier im postkolonialen Sansibar Tansanias:

Das Foto im Büro des Direktors war auf den Dezember 1963 datiert und damit am Ende des Schuljahres entstanden, kurz vor der Revolution. Kurze Zeit später würde Maalim Yahya seinen Job verlieren und nach Dubai gehen. Seine Frau und die beiden Töchter folgten ihm, mein Vater blieb allein zurück. Sie kamen nie wieder, nicht einmal für einen kurzen Besuch, und so konnte ich mir abgesehen von dem Gruppenfoto kein Bild von der Familie meines Vaters machen. […] Meine Welt bestand aus mir, meiner Mutter und meinem Vater. Die Gesprächsfetzen, die ich als Kind aufschnappte, waren unterhaltsam, aber die darin erwähnten Menschen blieben mir fremd.
Abdulrazak Gurnah aus: „Das versteinerte Herz“

„Abdulrazak Gurnah: „Das versteinerte Herz““ weiterlesen

Abdulrazak Gurnah: „Das verlorene Paradies“

An den Abgründen vorbeigeschrieben … Nobelpreis für Literatur 2021

Wer nach der Bekanntgabe des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers nach einem Buch von diesem gesucht hat, wird nur in Glücksfällen ein Exemplar ergattert haben. Abdulrazak Gurnahs Romane und Texte sind im deutschsprachigen Raum schon lange nicht mehr aufgelegt worden und waren zu diesem Zeitpunkt selbst antiquarisch eine Seltenheit. Mit „Das verlorene Paradies“ liegt nun eine Neuauflage der Übersetzung von Inge Leipold vor, die das erste Mal 1996 erschienen ist. Der Roman behandelt die Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Tansania. Der Protagonist ist Yusuf, dessen Aufwachsen und Erwachsenwerden zwischen Gewalt, Einsamkeit, Verzweiflung und Sprachlosigkeit beschrieben werden. Das dominierende Problem lautet Geld, und um Geld geht es auch, als Yusuf am Anfang des Romans von seinen Eltern als Pfand einem Händler namens Aziz überlassen wird. Gleich zu Anfang des Romans wird also klar, dass die Umstände wenig Raum für Besinnlichkeit, Romantik und Sanftheit lassen.

„Abdulrazak Gurnah: „Das verlorene Paradies““ weiterlesen
Die mobile Version verlassen
%%footer%%