
Sinkende Sterne von Thomas Hettche liest sich vor allem als Roman über Romane, als Literatur über Literatur, als das Erzählen übers Erzählen. Diese Verweisstruktur bringt Gefahren mit sich. Umberto Ecos ausschweifendes Das Foucaultsche Pendel oder auch Passagen in Die Insel des vorigen Tages spielen auf der Klaviatur des Zitats und der Permutationen des Gelesenen, also sekundär Erinnerten, und ufern zum Teil aus. Popliteratur insgesamt verliert oft den erzählerischen Rahmen und sprengt alles zugunsten einer kulturellen und universell-gültigen Verweisstruktur auf. Oft bleiben nur Assoziationen, nur Fragmente, Bruchstücke eines Erzählens übrig, so auch bei Hettche in Sinkende Sterne:
Was geschehen sei, als die Frist abgelaufen war, wollte [Marietta] wissen. Ich freute mich so sehr, sie wiederzusehen, dass es mir ganz unnötig schien, jetzt davon zu sprechen. ‚Männer sind sinkende Sterne‘, dachte ich. Isabelle Huppert hat diesen Satz, der mir sofort einleuchtete, vor ein paar Jahren in einem Interview gesagt.
Thomas Hettche aus: „Sinkende Sterne“
Inhalt/Plot:
Hettches Roman besitzt einen Protagonisten namens Thomas Hettche. Dieser verlässt Hals über Kopf seinen Wohnort, um in das Schweizerische Wallis zu fahren, da sich dort, nach einer Naturkatastrophe, Fragen rundum den familiären Besitz einer Parzelle in der Gemeinde Leuk ergeben haben. Die Vorladung wurde im Namen eines gewissen Jesko Zen Ruffinen, Kastlan von Leuk und Bannerherr der Sieben Zenden ausgestellt. Die Reise in das Schweizerische Wallis kommt dem um die fünfzig Jahre alten Protagonisten gerade recht, nachdem die Vizepräsidentin der Universität ihn wegen seiner Beharrung auf den westlichen Kanon gefeuert hat:
Es sei meine Verantwortung als Lehrender, einen offenen Raum zu gestalten, in dem die Studierenden konstruktiv, abwägend, mit angemessenem Ton und Sensibilität an einen Diskurs herantreten und daran teilhaben könnten. Meine Fixierung auf Texte eines westlichen Kanons, mein Beharren auf überholten Qualitätsvorstellungen und mein sexistischer Sprachgebrauch verunmöglichte das jedoch. Es habe Proteste gegeben.
Hier nimmt Sinkende Sterne das Thema alter weißer Mann gegen die Welt von Heute auf, das auch in Daniela Kriens Der Brand und insbesondere in Philip Roths Der menschliche Makel zentral behandelt wird. Die Reise in das Hochgebirge, die auch als symbolischer Abstraktionsvorgang verstanden werden könnte, führt ins Herz eines verwüsteten Tals. Ein Bergsturz hat stattgefunden und das Tal weitestgehend infrastrukturell isoliert. Der Protagonist besitzt weder Kabel- noch Funktelefon. Zu allem Überfluss wurde der Flusslauf der Rhone durch den Bergsturz blockiert und ein See hat sich gebildet und ganze Dörfer überschwemmt. Der Bergsturz sitzt den Menschen im Tal noch in den Knochen:
Er selbst sei in jener Nacht nicht in Leuk gewesen. Aber man habe ihm [Sulpice von Werra] erzählt, es sei, weit nach Mitternacht, zunächst ein Grollen zu hören gewesen, das aus dem Innern des Berges zu kommen schien, den Boden habe erzittern lassen und in das sich ein helles Reißen gemischt habe, als ob etwas zerspringe oder abrutsche […] das Grollen sei nicht wie sonst abgeebbt, es habe im Gegenteil immer weiter zugenommen und aus dem Zittern des Bodens sei ein Rumpeln geworden […] So viel Gestein habe sich in dieser Nacht aus der Flanke des Illhorns gelöst, dass die steinerne Gischt schließlich über die Rhone hinweggedonnert und gegen die Stadt angebrandet sei.
Unüberhörbar spielt hier Esther Kinskys Rombo in das Geschehen, das letztes Jahr auf der Longlist des deutschen Buchpreises gestanden hat, und von besagtem Grollen im nicht weit entfernten Süditalien berichtet, in welchem auch Dörfer in einen Ausnahmezustand versetzt wurden. In Sinkende Sterne geht es nun um das familiäre Erbe und wie der Protagonist der angedrohten Enteignung entgehen kann, denn das Grundstück in dem abgeschnittenen Tal befindet sich durch den Bergsturz in einem national befreiten Gebiet und darf von keinem Ausländer besessen werden. Zufällig trifft nach Bekanntgabe der drohenden Enteignung Thomas auf den Notar seines Vaters, der ihn tröstet und in sein Schlösschen bringt:
Der Notar ergriff meine Hand und zog mich mit in seinen Tanz, drehte sich mit mir, einmal und noch einmal, und der modrige Saal begann sich selbst zu drehen dabei, die Pilaster und die zerschlagenen Fenster, und das zerbrochene Parkett schwappte unter meinen Füßen, es kam mir so vor, als hörte ich Tanzmusik, und wie aus deren Nebel erschienen Gesichter in dem Kreis, den die Bewegung um mich warf, das Aufblitzen von Knöpfen und Lippen, die matten Schatten von Stoffen, Arme und Hände.
Die Szene, die immer abstruser wird, erinnert bis in die Inszenierung hinein an Martin Mosebachs Das Beben, in welchem ein Architekt im Palast eines indischen Fürsten lebt und ein seltsam entrücktes Leben führt. Spätestens hier wird nun bewusst, dass Hettches Roman ein Potpourri an Querverweisen auffährt und sich auf diesen treiben lässt. Ein roter Faden lässt sich noch in der Beziehung zu seiner Jugendliebe Marietta finden, die ihm die Zeit vertreibt, und die Erzählungen ihrer Tochter Serafine, die vom Leben des Tals in Mundart berichtet:
»Brachud«, sagte sie irgendwann und blinzelte in die Sonne.
»Was meinst du damit?«
»Das hat der Opapa immer für den Juni gesagt. Der Brachmonat.«
»Und wie hat er die anderen Monate genannt?«
»Jenär, Hornig, Merzu, Abärellu. […] Heid Iär nu dä kännt?«
Von Mundart zum Volksmund zu Martin Heidegger ist es nicht weit, der daraufhin auch gleich zur Sprache kommt.
Ihr Schatten ist kein weiter Kreis, aber er ist dicht und tief. Geviert nennt Heidegger den Ort, der uns Menschen zugedacht ist, aufgespannt zwischen Himmel und Erde, Unsterblichen und Sterblichen.
Nach einem kleinen Stelldichein mit Marietta, verhilft der Notar Thomas zu einer Audienz bei der Bischöfin, die ihm helfen kann, die Enteignung zu vermeiden. Er müsse sich nur ergeben zeigen, was Thomas dann auch auf die Knie vor dem nackten Geschlecht der Bischöfin sinkend, das sich als Penis entpuppt, als Bedingung akzeptiert. Danach wird es chaotisch. Erinnerungen an einen Exstudenten, an seine weißen Socken, an Homer, die Odyssee, Scheherazade, Sindbad und schließlich David Bowie und Rainer Maria Rilke mischen sich im Fiebertraum, der den Text fraktal ausfrasern lässt.
Stil/Sprache/Form:
Sinkende Sterne bedient sich vieler seltener Worte, bemüht sich um eine fließende Syntax und verwendet all die modischen elliptischen, appositionellen Konstruktionen, die zur Verfügung stehen, um einen Text lesbar, aber dennoch komplex zu halten. Vom Standpunkt des Wortmaterials aus hebt sich Hettches Schreibstil stark von anderen Gegenwartsliteraturen ab. Wörter wie „hinwegfaucht“, „Türlaibung“, „keckernd“, „Garamanten“, „flirrend“ oder „Placken schmutzigen Schnees“ finden sich heutzutage selten. Sie geben dem Buch viel Poesie, viel Melodie.
Die Glocke verstummte mit einem letzten sanften Schlag, der weit durch das Tal trieb. Marietta stand nun wieder vor der Kapelle, ein Buch in der Hand. Einen Moment lang war es still, und ich sah, wie sie den Blick nach Süden richtete, hin zum Rhonetal. Dann holte sie Luft und begann zu singen, ein Ave Maria. Und dieser Gesang rührte mich sehr, weil ihre Stimme so schwach schien und so leise vor dem Hintergrund der Berge und sie doch mit einer Inbrunst sang, als wäre es unbedingt notwendig.
Die Sprache in Sinkende Sterne spielt mit ihren Motiven. Sie erinnert sich alter Wörter, alter Sinngebungsfetzen, taucht ab in die Bergwelt, geht zurück in die Jahrhunderte, gräbt die fremdartigsten Bezeichnungen aus: „Schtraffla“ für Heuschrecken und „Pfiifoltru“ für Schmetterlinge. In diesen Momenten erhält der Text einen Hauch der alten, brüchig-gewordenen, doch immer noch existenten Bergwelt, die ein eigenes Zeit- und Raummaß besitzt und jenseits aller modernen Schnellebigkeit Ruhe und Beständigkeit ausstrahlt. Statt sich aber dieser Bergwelt zu widmen, eskamotiert Hettche die Atmosphäre und beginnt in der zweiten Hälfte des Buches über Literatur und die Kraft des Erzählens zu dozieren, die sein am Ende letzter verbliebener Student Dschamîl aus Aleppo als einziger in seinem Seminar besaß:
Wenn ich insistierte und in [Dschamîl] drang, wie [seine Texte] entstünden, sagte er in Varianten immer dasselbe: Er sei der Sprache gefolgt. Seine Kommilitonen wussten nichts damit anzufangen, und auch mein Lob für seine Geschichten begriffen sie nicht. Dass es ganz sinnlos ist, Sprachgefühl vermitteln zu wollen, behielt ich für mich. Erzählerische Tricks lassen sich lehren, Sprachklischees austreiben, aber all das ist angelerntes Kunsthandwerk, und die meisten Bücher sind nichts anderes.
In diesen Stellen und vielen anderen lässt sich der Erzähler von Sinkende Sterne eben nicht von seinem Sprachgefühl leiten, das sich nicht in die Halle der Universität verirren würde, während Falken ihre Kreise über Täler ziehen und Schründe in den Gletscher prangen und Murgänge den freien Raum des Tales bebend, krachend erschüttern. Es wirkt konstruiert, und seine eigene Beobachtung fällt auf ihn zurück, sobald sich die zweite Hälfte des Romans nur noch von Ideen und Zeitgeist leiten lässt, statt wie bei Kinsky in Rombo Zeit und Ereignis in Sprache gerinnen zu lassen und so dem dargestellten und thematisierten Werden und Vergehen onomatopoetisch nachzuforschen.
Kommunikativ-literarisches Resümee:
Das Buch, mit dem Hettches Sinkende Sterne am meisten Ähnlichkeit besitzt, heißt Eurotrash und wurde von Christian Kracht geschrieben. Beide spielen in der Schweiz. Beide thematisieren ein schwieriges Eltern-Kind-Verhältnis. Beide inszenieren den Autor des Buches als Figur des Buches, autofiktionalisieren sich selbst und ironisieren ihr eigenes Werk, obgleich bei Hettche stark gemindert durch Abstraktion. Beide besitzen eine Vorliebe für David Bowie und ergehen sich auf jeder Seite, in fast jedem Absatz in einer Multitude an Querverweisen. Wo jedoch Eurotrash in die Vergangenheit zielt, das Untote der Familienverbrechen mittels Popzitaten auferstehen lässt, bleibt Hettche in der Gegenwart mit dem Twist, dass er fast ausschließlich auf alte Quellen zurückgreift:
»Bedenkt, wes hohen Samens Kind ihr seid/ Erkenntnis suchet auf und Tüchtigkeit.« So spricht kein Niemand. Und so steht es auch nicht bei Homer. Ob er diese Rede kenne, fragt Fritz Lang den Drehbuchautor, der ohne Zögern antwortet: Ja, sie sei berühmt, sie sei von Dante. Und tatsächlich, ich hatte es in Vorbereitung des Seminars noch einmal nachgelesen, erscheint Odysseus in der ‚Göttlichen Komödie‘ im achten Kreis der Hölle […]
Nicht nur die Quellen, auch der Humor unterscheidet Kracht von Hettche, der bierernst bleibt, wohingegen sich Kracht selbst und mit ihm sein Publikum auf den Arm nimmt:
»Ja, ja, ja. Keine Sorge. Du hörst mich bald eh nur noch in Deiner Erinnerung, denn ich bin soundso moribund. Aber Du, Du solltest Dir mal ein Beispiel nehmen an, an, wie heißt der, an Knausgård oder an Houellebecq oder Ransmayr oder Kehlmann oder an Sebald.«
Christian Kracht aus: „Eurotrash“
»Sebald ist tot. Ich bitte Dich.«
»Ich meine ja auch ein Beispiel nehmen an wirklich guter Literatur. An Büchern, die bleiben, nicht so ein horrender Stuß, wie Du ihn schreibst. Lies doch mal Flaubert. Da würdest Du sehen, wie es geht. Von den Meistern lernen. Aber Monsieur denkt ja gar nicht dran. Monsieur ist ja selbstgefällig und behäbig, und dann fährt Monsieur mit seiner Mutter irgendwo auf einen Gletscher, in der Hoffnung, es würde schon werden. Am besten auf genau den Gletscher in der Nähe genau des Chalets, in dem er geboren wurde, um irgendeine Katharsis heraufzubeschwören.«
Und obwohl Hettche keinen Versuch unternimmt, sein Publikum zum Lachen zu bringen, bleibt ein gewisser Unernst in der Konstruktion übrig, die Lässigkeit, die Beliebigkeit, das Assoziieren und Collagieren, die bei Kracht ins Extrem gesteigert wird und auch von Benjamin von Stuckrad-Barre dazu verwendet wird, um jedweden Erzählkosmos zu durchbrechen und durch ein popkulturelles Rauschen zu ersetzen.
»Ach, Christian«, sagte meine Mutter und lächelte.
Christian Kracht aus: „Eurotrash“
»Es gab da einen Film mit ihm, Merry Christmas, Mr. Lawrence, einen japanischen Film, glaube ich, den habe ich mindestens zehnmal im Kino angesehen, als er herauskam. Ich war sechzehn Jahre alt. Und ich konnte mir überhaupt nicht erklären, warum David Bowie, der einen britischen Soldaten in einem japanischen Kriegsgefangenenlager spielte, mit Absicht so schlecht schauspielte. Ich war gefangen von seinem Genie.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Der japanische Offizier, der Bowie liebt, wird von Ryūichi Sakamoto gespielt, das ist ein japanischer Musiker, und der schauspielt auch furchtbar, habe ich damals gedacht. Mir war es für die beiden ganz peinlich. Ich konnte kaum hinsehen, obwohl ich den Film immer und immer wieder angeschaut habe.«
Aus Christian wird Thomas, aus den fliegenden Geldscheinen werden grasende Kühe, aber Bowie bleibt Bowie, denn auch Sinkende Sterne findet seine alleinige Ruhe darin, sich in die Popwelt zu verziehen, sich Séancen und Konzerte, Sessions mit Bowie vorzustellen, Partys und ausgelassene Abendgesellschaften voller Kunst, Musik, voller Andy Warhol und Alkohol, Hauptsache alles findet in Chalets statt, und wenn nicht in der Wirklichkeit, so doch zumindest in ihren popliterarischen Texten:
Als ich das sah, wusste ich wieder, in welchem meiner Texte ich mich befand, erleichtert und froh verbeugte ich mich lächelnd vor der Gräfin Setsuko. Sie bat mich herein und führte mich durch lange Gänge in einen kleinen Salon voll dünnbeiniger Tischchen und Sofas, die bestickten Polster eingesessen und abgewetzt, und auf einem davon David Bowie, schlafend, den Kopf mit den strohblonden Haaren nach hinten gesunken. […]
»David, don’t you like a whisky now?«, fragte er, und Bowie schlug schläfrig die Augen auf.
»Thank you – I don’t drink, Balthus.«
Es bleibt ein schaler Beigeschmack, sobald ein Text so sehr aus den Fugen geht, dass er nicht einmal mehr fiktional zwischen Fiktion und Realität unterscheiden will. Sinkende Sterne besitzt keinen Allegoriecharakter, allein schon deshalb nicht, weil er alles und jedes ornamental und allegorisch, übersymbolisch besetzt. Hettches Roman erscheint als Selbstverortungsversuch, der leider, insbesondere zum Ende hin, völlig in die Brüche geht und eine Gespaltenheit offenbart, die sich nur noch im Sprach- und Schreibversuch metonymisch vorübergehend überbrücken lässt. Die Flucht läuft ins Leere, und vielleicht sollte dies so sein.
tl;dr … eine Kurzversion der Lesebesprechung gibt es hier.
Nächste Woche am 12. September 2023 auf Kommunikatives Lesen:
Bespreche ich von Charlotte Gneuß’ Debütroman Gittersee, das den aspekte Literaturpreis 2023 gewonnen hat.
Hab diese Rezension sehr gern gelesen. Schön dur auf diesem irrlichternden Stück Literatur zu folgen, aber das Buch lese ich definitiv nicht. 🙂
Das Buch beginnt sehr intensiv – die Berglandschaft, auch das Mysteriöse, das Tal, die Worte klingen schön, ländlich satt – die singende Sennerin übertrug viel Emotion und Einklang, aber wie der Erzähler dann in Zeitgeistklischees abrutschte. Ich war selbst erstaunt. Ich lege ja selten Bücher beiseite, bei dem wäre es beinahe passiert. Es liest sich völlig inkohärent. Schön, dass die Besprechung trotzdem gefallen hat! Danke! Viele Grüße!
Faszination pur, deine Buchbesprechung!
Dankeschön dafür 🌟
LG vom Lu
Dank dir! Deine Musikposts tun ihr übriges für die Inspiration und Geistesauflockerung. Viele Grüße!
Das klingt schön und freut mich sehr
🎵🎶🎵🎶🎵🎶🎵🎹🎹🎹🎹🎹
Hab einen schönen Rest des Tages!
Was für eine aussagestarke Buchbesprechung, ohne dass sie in platte Verurteilung abgleitet! Über ein solches Buch zu schreiben kann eigentlich nur gelingen, wenn man – wie du – die verwendeten Referenzen und durchklingenden Einflüsse der Literaturgeschichte auch erkennt. Deine Belesenheit macht es dir möglich, die Leistung dieses Romans zu benennen. Die Reflexion des Umgangs mit literarischen Einflüssen scheint gerade Konjunktur zu haben – wie bezieht man sich schreibend: zitierend, praphrasierend, collagierend? Gerade erlebe ich diese Frage der literarischen Aneignung bei der fesselnden Lektüre von Mohamed Mbougar Sarrs Die geheimste Erinnerung der Menschen. Hier gelingt es allerdings, eine zusammenhängende, sogar spannende Handlung daraus zu knüpfen.
Die Leistung zu benennen, die Schwäche auch, auf dass wir entscheiden können, ob wir uns selbst ein Bild machen wollen. Mein Vertrauen in deine Vermittlung von Literatur ist mit der Zeit fast unerschütterlich geworden. Danke vielmals, Alexander.
Mbougar Sarr will ich auch endlich lesen – aber mit den deutschsprachigen Neuerscheinungen und Klassikern habe ich stets einen gewissen Rückstau. Die ersten Seiten von Mbougar Sarr fand ich sehr intensiv und mitreißend, gar nicht collagiert, sehr eigenständig von der Stimme und dem Stil her. Ich gab mir alle Mühe mit “Sinkende Sterne” – ich will stets das Interessante herausarbeiten, die starke Seite, von dieser aus den Rest beleuchtend, zu einer Meinung gelangen. Hier zerfledderte mir der Leseeindruck unter Hand und ließ mich fast baff zurück, so dass ich auf das Rekonstruieren angewiesen geblieben bin. Es hat sich dann durch die Popliteratur-Verweise doch zu etwas Ganzem zusammengefügt, und sei’s nur das Verschwinden des Autors in der selbstgewählten Lücke. Schade. Danke für dein Lob. Es freut mich sehr, dass meine Besprechungen interessant bleiben 🤗 Herzliche Grüße an dich, Ule!
Wieder einmal ein Buch zum Nicht lesen trotz überzeugender Besprechung. Also, überzeugend finde ich die Besprechung nicht das Besprochene🙃
Ja, nun, vielleicht lässt sich das dieses Mal klarer herauslesen, dass ich zum Ende hin etwas enttäuscht gewesen bin. Der Anfang war famos, skurril und sehr atmosphärisch, weshalb ich es mir auch als Hardcover kaufte. Dann … na ja, der Rest ist die Besprechung und danach nur noch Schweigen. Was soll’s 🙄 Danke fürs Vorbeischauen! Freut mich immer! Viele Grüße aus dem regnerischen Berlin.
Bin ganz bei Myriade 🙂 aber merci für die Besprechung! Das Buch nicht zu lesen faellt leicht, und das, obwohl für mich starke Verbindungen da sind: Wallis, Leuk, Jugendfreundin Marietta :-).
Hab dagegen – uuuh – “Eurotrash” gelesen….
Bei meinem eigenen Schreiben ist in der Tat auch das Erzaehlen wichtig. Kommt es über meinem Zitieren und Collagieren zu kurz?
Das Thema “Alter Mann gegen den Rest der Welt” erinnert mich auch an Coetzee (“Disgrace”). Oder sollte es da “alter Mann gegen eine sich schnell veraendernde Welt” heissen? Coetzee ist aber bestimmt ein anderes Kaliber als Hettche…
Ich würde Coetzee lieber nicht mit Hettche vergleichen – da Coetzee einen Rahmen setzt, den Rahmen klärt und ihn nicht hin auf eine unterstellte kulturelle Öffentlichkeit hin öffnet. Coetzee kommuniziert hermetisch. “Schande” zieht so seine Kreise und hinterlässt auch viele Fragen, aber eher auf die Wirkung hin gesehen, nicht formal oder inhaltlich. Das ist ganz klar. Hettche leidet etwas an Exhibitionismus in “Sinkende Sterne” – ich denke einfach, das Buch wurde zu früh abgebrochen und zu schnell publiziert. Es wirkt abgearbeitet, das meinte ich mit collagiert. Ich mochte den Anfang und Klang des Buches sehr. Viele Grüße!
Ich habe nach der Hälfte abgebrochen. Sehr schade.