
Sebastian Fitzeks Romane sind sicherlich nichts für Zartbesaitete. „Der Heimweg“ erzählt eine furchterregende Geschichte über Gewalt, Ohnmacht, Angst und sadistische Perversion. Im Zentrum stehen eine Handvoll Menschen, alle verwoben, verstrickt in einem Netz, das einzig und allein durch Gewalt zusammengehalten wird. Beinahe in Echtzeit verfolgt man kapitelweise die Protagonistin Klara in Fitzeks neu aufgelegter Version einer Reise ans Ende der Nacht à la Ferdinand Céline.
Wieder einmal hatte Klara das Gefühl, in ihrem Leben in einer Endlosschleife gefangen zu sein, in der sie von einem Unglück in die nächste Katastrophe glitt, die das zuvor Erlittene in einem milderen Licht erscheinen ließ.
Sebastian Fitzek
Auf Ihrem Weg ereignet sich sprachloses Grauen um sie herum, das in prosaischer Sprache beschrieben wenigstens den Anlass geben hier und da, die Häufigkeit von Gewalt, die Frauen in der Gesellschaft durch Männer erleiden, beim Namen zu nennen, beispielsweise, dass circa jede vierte Ehefrau Opfer von häuslicher Gewalt wird, oder indem Verunglimpfungen dieser Gewaltakte durch renommierte Staatsdiener direkt im Text von Fitzek zitiert werden:
Wie hatte ein ranghoher Politiker einmal im Bundestag argumentiert, warum die Vergewaltigung in der Ehe straflos bleiben müsse: »Zum ehelichen Leben gehört auch, die Unlust des Partners zu überwinden. Der Ehemann ist nicht darauf aus, ein Verbrechen zu begehen – manche Männer sind einfach rabiater.«
Sebastian Fitzek
Warum der Name des Politikers verschwiegen wird, bleibt unklar (Wolfgang von Stetten). Es werden aber hilfreiche Links gegeben wie zum Heimwegtelefon und Telefonnummern für das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben genannt: 0800 116 016.
Nach diesen Informationen am Anfang beginnt jedoch ein Roman, ein Psychothriller, und endet keine Broschüre zu dem Thema, wie Frauen leider noch immer und nicht selten Opfer männlicher Gewalt werden. Als mögliche Broschüre über jede Kritik erhaben, beginnt eine beschreibende, inszenierte Kommunikation, um, wie der Autor im Nachwort selbst angibt, Empathie mit den Opfern einzuüben. Schlafwandlerisch ehrlich benennt er das Gefühl, dass einem am Ende der Lektüre beschleicht, mit den unausgesprochenen Gedanken der Protagonistin Klara, als ihr missbräuchlicher Ehemann Details über Gründe des Missbrauchs, der Lötkolben-Folter, des Zähne-Ausschlagens und Vergewaltigens nennt:
Mit der Mitgliedschaft in Lousannes >>Herrenclub<< bekam man einen Account bei einem ausländischen Geldtransfer-Service, mit dem man in Echtzeit die >>Clubbeiträge<< überweisen konnte, so hatte Martin es ihr auf dem Heimweg nach jener Nacht im Le Zen erklärt, als wäre das in ihrem geschändeten Zustand eine für sie relevante Information gewesen. Das war typisch für ihn. Sobald ihr Mann nicht mehr sexuell erregt war, fing er an, seine Exzesse zu bereuen, und das machte ihn redselig.“
Sebastian Fitzek
Interessant rekurriert der Autor selbst auf den “Heimweg”, einen ganz anderen als den des Titels, nämlich der verheimlichte, eigentliche des Täters, der durch die Augen des Opfers erzählt wird und die vermeintlich anvisierte Empathie-Einübung empfindlich konterkariert. Zum Prüfstand, den eigenen Verrohungsfortschritt zu bemessen, gerät der Roman letztlich mit jedem weiteren Detail, mit jeder weiteren beschriebenen Verletzung, Demütigung und Erniedrigung der geschlagenen Frauen. Nachdem den misshandelten Frauen die Angst vor den Tätern sogar explizit und implizit vorgeworfen wird, bekennt der Autor Farbe und benennt den eigentlichen Protagonisten und das heimliche Genie des Buches, wieder in den stummgehaltenen Mund des Opfers gelegt:
Klara schüttelte den Kopf. Eins musste sie [ihm/dem Täter] lassen. Er hatte das Katz-und-Maus-Spiel geschickt eingefädelt, und das mit zwei Teilnehmern, die zu keinem Zeitpunkt gewusst hatten, wer von ihnen die Katze und wer die Maus war. Widerwillig musste sie die perverse Genialität hinter diesem Plan anerkennen. [Er/Mörder/Täter] hatte sie in eine Lage gebracht, aus der nur einer als Gewinner hervorgehen konnte: [Er/Mörder/Täter] selbst.
Sebastian Fitzek
Die leidige Diskussion, wann es sich um engagierte und wann um voyeuristische Literatur handelt, wann die Beschreibung der Gewalt Selbstzweck oder der Aufklärung dient, wird kein Ende finden, solange man die Opfer nicht selbst zu Wort kommen lässt.
Für den Roman selbst gilt es das Scheitern am Selbstanspruch zum Symptom zu erheben. Die Narration nämlich kehrt sich gegen sich selbst als das auktoriale Erzählen unentscheidbar zwischen Halluzination, Lügen und Selbstlügen so lange hin und her pendelt, bis nichts mehr von einer Erzählstrategie übrig bleibt als bodenlose Willkür, die noch das winzigste Detail als schicksalshafte Gesamtstrategie eines von außen erzwungenen Lernprozesses erscheinen lässt. Wer aber einmal lügt, lügt auch wieder. Der Roman ist nicht verlogen, weil eine Geschichte erfunden wird. Er lügt, weil er dem Leser nicht nur wesentliche Informationen vorenthält, was gute Kriminalgeschichten mehr oder weniger alle tun, sondern sie schlichtweg falsch benennt (X ist gar nicht X, sondern Y, wer hätte es gedacht, und dann doch Z, hätte es nicht noch U gegeben, der eigentlich W ist). Insofern lohnt es sich mit Jean-Paul Sartre zu enden:
[…] ein Schriftsteller ist engagiert, wenn er versucht, das klarste und vollständigste Bewusstsein davon zu gewinnen, dass er im selben Boot sitzt, d.h., wenn er für sich und für die andren das Engagement von der unmittelbaren Spontaneität zum Reflektierten übergehen lässt. Der Schriftsteller ist Vermittler par excellence, und sein Engagement ist die Vermittlung.
Jean-Paul Sartre. “Was ist Literatur?”
Wer sich überlegen, also nicht im selben Boot sitzend wähnt und fühlt, darf auch schweigen, und so bleibt am Ende die Gewissheit, dass manche Themen, egal wie wohlmeinend angegangen, manchen Menschen lieber nicht überlassen werden sollten.
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