Die Lesewoche stand im Zeichen von Ingeborg Bachmann, deren Werke ich seit langem wieder einmal besuchen und erneut lesen wollte, insbesondere den Roman Malina und die anderen unvollendeten Romane im Zyklus Todesarten. Eigenartigerweise fiel dies zusammen mit der Nachricht, die mich dann ein paar Tage später ereilte, dass der Briefwechsel Ingeborg Bachmann – Max Frisch Wir haben es nicht gut gemacht im September erscheinen wird, zudem nun die Briefe, Traumnotate und Berichte von Bachmann an ihre Ärzte Male oscuro in den 1960er Jahren veröffentlicht wurden. Neben den bereits veröffentlichten Briefen mit Paul Celan Herzzeit liegt dann bald Ingeborg Bachmanns Privatleben der Allgemeinheit vor – Texte, Nachrichten und Mitteilungen, die im Grunde sehr privat gewesen sind. Inwieweit dieses ein unentbehrlicher Schlüssel zu ihrem Gesamtwerk ist, bleibt dahingestellt. Ingeborg Bachmann hat selbst so formuliert:
Die kristallinischen Worte kommen in Reden nicht vor. Sie sind das Einmalige, das Unwiederholbare, sie stehen hin und wieder auf einer Seite oder in einem Gedicht. Es sind für mich, da ich nur für mich einstehen kann, zu den getreusten geworden: Die Sprache ist die Strafe. Und trotzdem auch eine Endzeile: Kein Sterbenswort, ihre Worte.
Ingeborg Bachmann aus: „Rede zur Verleihung des Anton-Wildgans-Preises“
Nun wieder zu meinen Kategorien: „Gekauft“, „An- und Weitergelesen“, und „Gelesen“. Ich füge nun auch die Kategorie „Zu schreiben“ an, um mich zu erinnern, welche Leseberichte noch ausstehen.
Gekauft:
Djaimilia Pereira de Almeida: Im Auge der Pflanzen – aufmerksam bin ich auf diese Novelle oder Kurzroman durch die Besprechungen von Literaturfluestern (jancak) und Literarische Abenteuer (Sandra Falke) geworden. Mich haben die Auszüge der portugiesischen Schriftstellerin sofort angesprochen, zumal ich ohnehin portugiesische Literatur sehr mag. Agustina Bessa-Luís mit Die Sibylle und Fernando Namora mit Im Verborgenen, und sowieso Fernando Pessoa mit Das Buch der Unruhe gehören zu Büchern, die ich immer wieder gerne zur Hand nehme. Nun aber de Almeida, die ein geheimnisvolles Buch geschrieben hat:
Das Meer am Kai antwortete ihm nicht. Mit Ochsen zogen sie die Netze ein, auf dem Sand hüpfte das Glück – Sardinen, Geißbrassen, Makrelen, Steinbutte -, die Frauen mit kräftigen Schienbeinen, die hungrigen, von Mützen verdeckten Augen der Männer des Meeres, der im feuchten Nebel schwebende feine Staub, doch für Celestina hatte das Meer nie Leben bedeutet.
Ich rieche beinahe die Algen und Muscheln und Nasse-Holz-Gerüche an der Küste.
Katerina Poladjan: Hier sind Löwen – mich hat Poladjans letzter Roman Zukunftsmusik sehr gefreut. Es gehört zu den Büchern, die ich sicherlich ein zweites Mal lesen werde. Mir wurde dann Hier sind Löwen von mehreren empfohlen. An beliebiger Stelle aufgeschlagen:
Sie stolperte voran, zerrte die Ziege hinter sich her, schimpfte laut mit den Bäumen und Sträuchern, und als ihr Kopf allmählich leichter wurde, dachte sie an den Jungen, der sie auf dem Schulhof angesehen und ihr zugelächelt hatte, jedenfalls hatte er den Mund verzogen, und es hatte ausgesehen wie ein Lächeln.
Mit Bäumen und Sträuchern schimpfen, die sich trotzdem freundlich im Wind wiegen. Nur um die Ziege mache ich mir etwas Sorgen.
Gelesen:
Ernst Bloch: Experimentum Mundi – ich war gespannt, wie sich Ernst Blochs letztes philosophisches Buch ein weiteres Mal liest. Das erste Mal las ich es vor zwanzig Jahren. Nun las ich es ein weiteres Mal und fand es vielleicht sogar noch besser. Eine ausführliche Rezension über den Materialismusbegriff wird demnächst folgen:
Die Aufgabe des Menschen bestünde daher darin, eben der Schlüssel für das Selbstverständnis des größtenteils anorganischen Stoffs in diesem Prozess [Weltwerdung] zu sein, damit das Rätsel erraten werde, das die Natursphinx des Weltseins insgesamt, die Kosmos-Sphinx sich selber noch ist.
Dies zu kontrastieren mit Georg Wilhelm Friedrich Hegels „es ist so“ als dieser durch die Berner Ostalpen wanderte.
Ingeborg Bachmann: Frankfurter Vorlesungen: Probleme zeitgenössischer Dichtung – ein Text, den ich beschlossen habe, immer wieder zu lesen, um mich daran zu erinnern wie toll Literatur und wie inspirierend das Reden über sie sein kann.
Das könnte sein: Myriaden von Partikeln, die »Ich« ausmachen, und zugleich scheint es, als wäre Ich ein Nichts, die Hypostasierung einer reinen Form, irgendetwas wie eine geträumte Substanz, etwas, das eine geträumte Identität bezeichnet, eine Chiffre für etwas, das zu dechiffrieren mehr Mühe macht als die geheimste Order.
Eine Zusammenfassung ist in Arbeit.
Ingeborg Bachmann: Malina – … es gibt Bücher, die nicht aufhören in einem zu arbeiten, die immer wieder neue Horizonte aufreißen, neue Schatten in Bewegung bringen. Malina gehört für mich dazu:
Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen die Savannen und die Steppen wiederentdecken, hinausströmen werden sie und ihrer Sklaverei ein Ende machen, die Tiere werden unter der hohen Sonne zu den Menschen treten, die frei sind, und sie werden in Eintracht leben, die Riesenschildkröten, die Elefanten, die Wisente, und die Könige des Dschungels und der Wüste werden sich mit den befreiten Menschen vereinbaren, sie werden aus einem Wasser trinken, sie werden die gereinigte Luft atmen, sie werden sich nicht zerfleischen, es wird der Anfang sein, es wird der Anfang sein für das ganze Leben …
Ich werde dieses Buch wohl immer wieder lesen, als hätte ich es noch nie gelesen, und immer wieder auf eine Weise verstehen, wie ich es vorher nicht zu verstehen verstanden habe. Es ist ein sehr geheimnisvolles Buch.
Elke Engelhardt: Sansibar oder andere gebrochene Versprechen – die Besprechung zu diesem besonderen Gedichtband der sanften Zwischentöne findet sich hier und eine Kurzfassung hier.
Aus Spiegel Belletristik Bestseller-Liste:
Im Folgenden die Liste selbst, reformattiert, und mit Links versehen, bei denen bereits ein Lesebericht vorliegt:
- Milde Gaben – Donna Leon
- Die Toten von Fleat House – Lucinda Riley
- Eine Frage der Chemie – Bonnie Garmus
- Affenhitze – Volker Klüpfel; Michael Kobr
- Tête-à-Tête – Martin Walker
- Morgen kann kommen – Ildikó von Kürthy
- Schreib oder stirb – Sebastian Fitzek; Micky Beisenherz
- Lonely Heart – Mona Kasten
- Der Geschichtenbäcker- Carsten Sebastian Henn
- City on Fire – Don Winslow
- Der Verdächtige – John Grisham
- Der Markisenmann – Jan Weiler
- Der Schlaf in den Uhren – Uwe Tellkamp
- Der Papierpalast – Miranda Cowley Heller
- Man vergisst nicht, wie man schwimmt – Christian Huber
- Was im Verborgenen ruht – Elizabeth George
- Der Buchspazierer – Carsten Henn
- Die Enkelin – Bernhard Schlink
- Dann lassen wir eben die Heizdecke weg! – Renate Bergmann
- Stay away from Gretchen – Susanne Abel
Viele Krimis, viele Thriller, die nicht auf meiner Leseliste stehen.
Zu schreiben:
Nur einen Lesebericht verfasst, dafür drei hinzu gekommen.
Ernst Bloch: Experimentum mundi
Ingeborg Bachmann: Malina
Ingeborg Bachmann: Frankfurter Poetik Vorlesungen
Werner Bräunig: Rummelplatz
Hermann Hesse: Die Morgenlandfahrt
Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter [Kurzrezension]
Hari Kunzru: Red Pill [Kurzrezension]
Jan Weiler: Der Markisenmann [Kurzrezension]
Ich freue mich über Anmerkungen, Vorschläge, und weitere Lesehinweise. Trotz kälterer Tage wünsche ich allen eine fröhliche Woche!
Vielen Dank ! Immer interessant …
Vielen Dank! Ich bin auch immer wieder überrascht, wieviel sich über eine Woche so zusammenläppert neben dem Ganzen Brimborium, das sowieso vonstatten geht. Meine Bachmann-Wochen gehen jedenfalls weiter – man denkt einen Roman, eine Schriftstellerin zu kennen, und dann, beim Lesen, ist wieder alles ganz anders. Verrückt! Viele Grüße aus dem sonnigen Berlin 🙂
Ach, man kennt nie irgendeinen Autor. Wobei ich es sehr schätze wenn er/sie mich überraschen kann 🙂