Das phantastische Element gehörte von Anfang an zu den Mitteln der Literatur. Sagen und Anekdoten, Legenden und Abenteuer erlaubten, ja beförderten das Freischweifen der Imagination, das poetische Entriegeln und Tagträumen der Ernst Bloch‘schen utopischen Sinne. Es reicht an Ovids Metamorphosen, Homers Odyssee, an Dante Alighieris Göttliche Komödie oder Miguel de Cervantes Saavedras Don Quijote zu erinnern. Sie enthalten phantastische Elemente, die oftmals viel näher an Fantasy-Literatur neuerer Prägung wie J.R.R. Tolkiens Herr der Ringe oder C.S. Lewis Die Chroniken von Narnia reichen, als üblicherweise angenommen wird. Auf eine gewisse Weise hat Fantasy viel mehr mit der klassischen Literatur gemein als Werke, die sich in ihrer direkten und sie auch zitierende Nachfolge sehen wie Siegfried Lenz Die Deutschstunde, Martin Walsers Ein fliehendes Pferd oder bspw. Heinrich Bölls Ansichten eines Clowns, die allesamt dokumentarisch-prosaisch realistisch verfahren. Genre-behaftete Romanreihen, die üblicherweise nicht zur anspruchsvollen Literatur gezählt werden, warten deshalb unter Umständen mit Überraschungen auf. Ein Beispiel ist Ina Kramers Roman Im Farindelwald, der in der Reihe Das Schwarze Auge 1996 erschien:
Sie hörte die Träume des jungen Blaufalken, der am gestrigen Tag zum ersten Mal sein Nest verlassen hatte, sie hörte die Gedanken der alten Esche, aus dem ewigen Kreislauf der Jahreszeiten, aus Wachsen und Beharren gewoben. Sie spürte die Neugierde und Ungeduld des Bächleins und das Lied der unsichtbaren Wesen, die in ihm und an seinen Ufern wohnten, und sie atmete die ruhigen Atemzüge der Erde.
Ina Kramer aus: “Im Farindelwald”
Sie, die umgeben von Naturgeräuschen und -offenbarungen sich wiederfindet, heißt Sylphinja, eine junge Hexe, die zu Anfang der Geschichte nach einem Besuch ihrer Tante nach Hause zurückkehrt und vor den Trümmern ihres Leben steht. Ihr Zuhause wurde von den Obrigkeiten in Schutt und Asche gelegt und bald hört sie auch von der Verbrennung ihrer Mutter in der nicht weit entfernten Hauptstadt der Region. Verwaist, da sie ihren leiblichen Vater niemals kennengelernt hat, steht sie plötzlich auf eigenen Beinen. Ähnlich, nur spiegelverkehrt, ergeht es Anselm, einem jungen Medicus, der seine Mutter früh verloren hat und dessen Vater an Altersschwachheit stirbt. Statt aber seine Nachfolge antreten zu können, verdächtigen ihn die Dorfbewohner des Vatermordes, und auch er zieht los, völlig auf sich allein gestellt. Unterwegs trifft er eine Bardin, auf den Weg Richtung Norden erzählt sie ihm die Legende von den Geschwistern aus dem Farindelwald.
Sirirí, das Mädchen, und Luminú, der Knabe, waren grausam, und je älter und schöner sie wurden, um so kälter und liebloser wurden sie gegen ihre Mitkreaturen. Sie quälten aus Lust und töteten ohne Not, so daß im fernen Alveran Frau Tsa manch bittere Träne vergoß. Doch so böse und hartherzig Sirirí und Luminú auch gegen Tiere und Menschen waren, so innig liebten sie einander, denn jedes sah im anderen das eigene Spiegelbild.
Die Legende lässt sich schnell zusammenfassen. Die beiden Geschwister wachsen wie ein Herz und eine Seele auf und verlieben sich ineinander. Sie haben nur füreinander Augen und beschließen, um sich niemals missen zu müssen, unsterblich zu werden. Zu diesem Zweck stehlen sie das Ei der Unsterblichkeit, von dem ihnen eine alte Hexe erzählt hat. Ohne Rücksicht auf Konsequenzen zerbrechen sie das Ei und trinken den Inhalt und schmieren den Rest, der übrigbleibt, noch auf ihre Haut, um weder von innen noch von außen zu altern.
Als Folge ihres Verrats verschwindet die Mehrheit der Wesen im Farindelwald, der bald verlassen und dunkel Anlass für viele Erzählungen und Mythen wird und von dem es bald heißt, nur die Geschwister und böse Geister wohnten noch darin. Die Geschwister zahlen aber selbst auch einen hohen Preis. Ihre Haut wird durchsichtig, und sie beginnen, angesichts der Knochen und Innereien, die sichtbar werden, sich Tag für Tag mehr zu verabscheuen.
Und das ist der Fluch, der auf Sirirí und Luminú lastet, die selbsterzeugte Strafe für ihre Freveltat, daß sie für immer und alle Zeiten mit einer Haut wie Glas leben werden, unfähig, den Blick zu verdunkeln, auf ewig aneinander gebunden, sich selbst und dem anderen zum Ekel.
Die Fabel von den Geschwistern wird kontrastiert durch eine Reihe von Tagebucheinträgen von Anselms Vater, der einer Hexe im Wald gewahr wird, sie aber nicht an die Obrigkeit verrät. Als Dank hinterlässt sie ein kleines Geschenk für ihn:
Auf dem Boden des Körbchens fand ich ein Stück Birkenrinde, mit blaßbräunlicher Tinte beschrieben. Ich werde den Vers abschreiben, bevor er völlig unlesbar geworden ist, obwohl ich nicht weiß, was er mir sagen soll (ich glaube nicht mehr, daß sie das Körbchen vergessen hat – ich sollte es wohl finden).
Jeder kriegt, was ihm gebührt,
Haß erhält, wer Haß geschürt,
Löffelt aus, was er gerührt.
Doch wo Freundlichkeit regiert,
Bleibt Verrat unausgeführt.
Nimm, was man als Dank erkürt: Süßen Traum das Ei gebiert.
Wie das Ei einmal als Fluch, dann als Dankbarkeit sich ergänzt, der eine Teich kristallklar, der andere finster dunkel ist, Anselm seine Mutter, Sylphinja ihren Vater nicht kennt, erscheint die Welt aus Im Farindelwald als zweigeteilt und aus dem Gleichgewicht gebracht. Eine schwere These und Antithese liegt auf der Welt. Licht und Schatten, spiegelbildliche Kongruenzen füllen sie, bis sich Anselm und Sylphinja endlich im Farindelwald treffen. Sie haben sich gemeinsam verlaufen und finden nicht zurück auf die Straße. Es wird immer dunkler und gefährlicher. Bald verschwindet das letzte Licht, und die Bäume drohen und drücken und locken die beiden zum Ort des Unheils, zum Farindelwaldteich, der beide zu verschlingen droht:
Das Mädchen schritt, so gleichmäßig und scheinbar ohne ein Glied zu regen, auf das Wasser zu, daß Anselm der absurde Gedanke kam, es werde auf einem Rollbrett gezogen. Er konnte auch ihre Füße und Unterschenkel nicht sehen – sie waren im Röhricht verborgen –, aber fast kam es ihm vor, als schrumpfe sie mit jedem Schritt. Wohin geht sie, was hat sie vor? dachte er, als ihm bewußt wurde, daß sie das Ufer bereits verlassen hatte und sich im Wasser befand. Noch hatte sie offenbar Grund unter den Füßen, aber mit jedem Schritt sank sie tiefer ein. Schon hob sich der Saum des Kleides und breitete sich wie eine Blüte rings um sie aus – eine grüne Blüte mit roten Lichtern, matt und zauberisch schillernd im fahlen Nachtlicht.
Bevor jedoch Sylphinja und Anselm vom Teich verschlungen werden, eilen zwei Fellwesen zu ihrer Rettung, die sich als die verschollenen Geschwister aus dem Lied der Bardin entpuppen. Die Fellwesen nehmen sie gefangen und erzählen nun die Legende aus ihrer Sicht. In finsterer Kompromisslosigkeit wechseln sie sich bei dem Bericht ab. Ihnen graut vor sich selbst, vor der durchsichtigen Haut und deshalb tragen sie Pelze am ganzen Leib und deshalb sind sie auch auf der Suche nach passenden Körperhüllen. Sie verstehen, dass ihre Tat das Gleichgewicht des Waldes gestört hat, und geben eine dualistische Theorie des in sich vermittelten Guten und Bösen:
Niemals hätte das Gleichmaß der Waagschalen zerstört werden dürfen, doch das wurde es durch der Geschwister Tat. Seit dieser Zeit bevölkern Werwesen den Wald, und seltsame Dinge geschehen darin. Aus dem glitzernden Nebel, der dem Ei beim Öffnen entwich, aber entstand ein Volk von Blütenfeen, das sich im Quellgebiet des Gemhar angesiedelt hat. Die Zerstörung des Gleichgewichts bewirkte weiterhin, daß sich dem Wesen des Weihers die Bosheit zugesellte. Hinfort verneinte er das Leben nicht mehr dadurch, daß er nur Leere barg, nein, nun wollte er vernichten, wollte alles Lebendige einsaugen und zerstören, so wie er es mit dir versuchte, Hexenkind.
Seitdem das Ei der Unsterblichkeit zerstört worden ist, gönnen sich die Bäume, der Teich, die Wesen und Geschwister im Wald nichts mehr gegenseitig. Von Neid erfüllt kämpfen sie gegeneinander, und bald bleibt ihnen nichts anderes mehr übrig, da in ihrer Welt niemand und nichts mehr glücklich werden kann, sich gegenseitig so viel Leid und Schmerz wie nur möglich zuzufügen. Aus Glück wird Gehässigkeit, und nur ihr haben es Sylphinja und Anselm zu verdanken, dass die Geschwister sie vor dem sicheren Tod bewahrt haben. Die Geschwister gönnten dem Teich schlicht die Genugtuung nicht:
Warum wir euch vor dem schwarzen Wasser gerettet haben, wollt ihr wissen, nicht wahr?«
»Ja«, piepste Sylphinja kaum hörbar.
»Nun, dafür gibt es zwei Gründe. Merkt gut auf und vergeßt nicht, was ihr nun erfahren werdet. Der erste Grund ist der folgende: Es bereitet dem Weiher Schmerzen, wenn ihm eine Beute entrissen wird, er leidet, und das um so mehr, je näher er seinem Ziele ist. Und auch wenn es uns heute keine Genugtuung mehr verschafft, ihn leiden zu sehen, so fügen wir ihm doch aus jahrhundertealter Gewohnheit Schmerzen zu als Strafe dafür, was er uns einst tat.«
Der zweite Grund fällt lapidarer aus. Die Geschwister waren sich zum Zeitpunkt der Rettung noch nicht sicher, ob Anselm und Sylphinja körpergrößenmäßig zu ihnen passen. Sie warten schon sehr lange auf ein passendes Pärchen, dessen Haut sie rauben können, um endlich dem Farindelwald entfliehen zu können. Zu deren großen Verdruss stimmen aber die Proportionen nicht ihren Körpermaßen überein. Nun sollen sie wenigstens von Sirirís und Luminús Unsterblichkeit berichten, um andere Abenteurer, möglicherweise körperlich passendere, in den Wald und in deren Fänge zu locken.
Ina Kramers Im Farindelwald kennt jedoch keine wirkliche Fabel oder Moral. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Menschen verdächtigen Menschen. Menschen verbrennen Hexen. Die Natur richtet sich gegen sich selbst, verschlingt sich selbst in dunkler Schwärze. Misstrauen taut auf allen Blättern und welkt in allen Gräsern, und die Magie verspricht auch keine Wunder mehr. Sie erscheint nur noch als Bedrohung. Trotzdem lebt in allen Ecken und Winkeln der Welt von Sylphinja und Anselm Lebendigkeit und Fröhlichkeit und verschafft ihnen kurze Pausen der Labsal, der Freundlichkeit und Innigkeit:
Es war eine Quelle, umgeben von Moos, weichem Gras, Farnen mit mächtigen blassen Wedeln und schneckenartig eingerollten jungen Trieben, zierlichen Espen und Erlen – ein lauschiger, heimeliger Ort. Die Buchen mit ihren mächtigen Kronen, die kaum einen Lichtstrahl auf den Boden dringen ließen, hatten sich hier ein wenig zurückgezogen, und so fiel goldenes und grünliches Sonnenlicht auf Pflanzen, Steine und Wasser. Das Rinnsal, so schwächlich es zwischen den moosbewachsenen Steinen auch hervorquoll, hatte doch genug Kraft und Ausdauer besessen, den Boden auszuwaschen, bis es auf kiesigen Grund stieß, und sich ein Becken zu schaffen, von wo aus es als wisperndes Bächlein davonfloß […]
Ina Kramer zeichnet eine distinkt herausgearbeitete Schwarzweiß-Welt, die dualistischer nicht sein könnte. Alles wiederholt sich, spiegelt sich, wirkt auseinander gerissen und entzweit. Dichotomisch passt eins nicht zum anderen. Viele Motive erinnern an Märchen wie Hänsel und Gretel, an Sagen wie Narziss und Echo, oder in seiner Schwarzweiß-Allegorie an das Elsterngleichnis eines Wolfram von Eschenbach aus Parzival, der mit wenigen Worten beinahe die ganze Romanhandlung von Im Farindelwald umreißt:
Dem ist der Seele Ruh versagt.
Wolfram von Eschenbach aus: “Parzival und Titurel“
Geziert ist und zugleich entstellt,
Wo Unlautres sich gesellt
Zu des kühnen Mannes Preis
Wie bei der Elster Schwarz zu Weiß.
Doch oft gelangt er noch zum Heil,
Denn beide haben an ihm Theil,
Der Himmel und der Hölle Schlund.
Wer Untreu hegt in Herzensgrund,
Wird schwarzer Farbe ganz und gar
Und trägt sich nach der finstern Schar;
Doch fest hält an der blanken
Der mit stätigen Gedanken.
Die Geschwister vermögen keine Ruhe zu finden. Sie tragen Unlauteres im Herzen, als sie in Richtung Farindelwald ziehen. zudem planen sie die Hexe zu betrügen, die ihnen vom Ei erzählt hat. Sie müssen auch Farindel, die Steineiche betrügen, um unsterblich werden zu können, und erzeugen die schwarze Farbe des Teiches, der ihnen die Undurchsichtigkeit der Haut entzieht, so dass sie alle Liebe füreinander verlieren und sich bekämpfen, trotz vielbeschworener ewiger Treue. Wolfram von Eschenbachs Witz im Elsterngleichnis lässt das Schwarze in Weiß dort übergehen, wo der stetige Gedanke bleibt, jener, der Im Farindelwald zur Rache der Geschwister am Teich gereicht und so zu etwas Gutem führt. Ihr Abenteuer gleicht Parzivals Reise insbesondere auch durch die Suche nach dem heiligen Gral, jener kostbare Stein, der lebens- und jungerhaltende Kräfte besitzt:
Die Farbe bleibt ihm klar und rein,
Wolfram von Eschenbach aus: “Parzival und Titurel“
Wenn er täglich schaut den Stein,
Wie in seiner besten Zeit
Einst als Jüngling oder Maid.
Säh er den Stein zweihundert Jahr,
Ergrauen würd ihm nicht sein Haar.
Solche Kraft dem Menschen giebt der Stein,
Daß ihm Fleisch und Gebein
Wieder jung wird gleich zur Hand:
Dieser Stein ist Gral genannt.
Kramer mischt insofern den Stoff von mehreren Legenden und Märchen miteinander: Die Suche nach dem heiligen Gral, die narzisstische Selbstbespiegelung, und das von Hänsel und Gretel, die sich im Wald verlaufen und in die Fänge einer gefräßigen Hexe geraten. Alle bekannten Momente finden sich in dem sehr synkretistischen Roman Kramers wieder, der eine klar geschiedene Welt zwischen dunkel und hell, gut und böse, richtig und falsch zeichnet. Sogar Details stimmen wie die Beeren, die Anselm und Hänsel sammeln, um im finsteren Wald zu überleben.
Anselm und Sylphinja können sogar wie Hänsel und Gretel Geschwister sein, denn das Geheimnis um das Geschenk der Hexe an Anselms Vater und die ausgerissenen Seiten in seinem Tagebuch, die Begegnung mit der Hexe, bleiben unaufgelöst, lassen aber Raum und Möglichkeit, dass Anselms Vater auch Sylphinjas Vater ist. Dies würde der dualistischen Schwarzweiß-Zeichnung entsprechen, wobei hier Anselm und Sylphinja für das gute, Sirirí und Luminú für das schlechte Geschwisterpaar stehen.
Oberflächlich, rein von der Seite der Motivik, den Topoi und vom Inhalt her betrachtet, erscheint Im Farindelwald als ein etwas aufwendigeres, überzeichnetes Plagiat, das mittels Klischees und eingeübten Motiven auf altbekannte Emotionen und Wirkungen von Kindheit an bekannter Märchen und Legenden abzielt. Aufmerksam gelesen, lässt sich aber ein anderes Bild von dem Text, der sich zu einem Roman zusammenschließt, zeichnen:
Das Gewässer war klein, kaum mehr als dreißig Schritt im Durchmesser, und am hiesigen Ufer wuchsen Kalmus, schlingendes Zitterblatt und Fieberklee, am jenseitigen Schilf und Mibelrohr. Zierliche Erlen umstanden den Teich, mit ineinander verschlungenen Ästen und Zweigen und seltsam gewundenen, wie gedrechselt wirkenden Stämmen. Solche Erlen hatte Sylphinja noch nie gesehen, und unbelaubt hätte sie die Bäume schwerlich erkannt, aber jetzt im frühen Sommer verrieten die Blätter, die bereits verblühten Kätzchen und die kleinen, dunkelbraunen, wie kugelige Zapfen wirkenden Früchte des Vorjahres ihr, daß es wahrhaftig Erlen waren.
Kramers Komposition verwendet die sehr klaren Unterschiede als literarische und narrative Kontrapunkte, um diese mittels der Sprachmelodik und der Beschreibungsrhythmik umso eindrucksvoller wieder aufheben zu können. Die Erzählung fließt wie ein Fluss über die Steine, vereinigt die Gegensätze und zeichnet eine Welt voller Bewegung und Möglichkeit, voller Abenteuer und Geheimnis, so dass jeder Moment, jeder Baum, jedes Blatt wie ein eigener grenzenloser Kosmos des Mannigfaltigen erscheinen. Dies gelingt ihr mit sehr weichen, rundenden, ruhenden Sätzen, die sich mühelos verschachteln, nie direkt auflösen oder ihre Spannung verlieren, aber das Verständnis geheimnisvoll hinausschieben und erst ganz zum Ende ein lösen. Kramers Sätze enttäuschen nicht. Die Elemente verbinden sich. Sie geraten in Bewegung, in Überlagerung, beginnen zu schillern und Möglichkeitsräume zu erproben. Ernst Bloch beschreibt das in Das Prinzip Hoffnung dazu:
Doch reinigt sich der Fall völlig, sobald der Spiegel vom Volk stammt, wie ganz sichtbar und wunderbar im Märchen. Die gespiegelten, so oft genormten Wünsche erfüllen im Buch diesen Teil; ihnen allen ist ein Trieb zum Bunten als vermeintlich oder echt Besserem gemeinsam. Reiz der Verkleidung, beleuchtete Auslage gehören hierher, aber dann die Märchenwelt, die geschönte Ferne in der Reise, der Tanz, die Traumfabrik Film, das Exempel Theater. Dergleichen macht entweder besseres Leben vor, so in der Vergnügungsindustrie, oder malt ein essentiell gezeigtes wirklich vor.
Ernst Bloch aus: “Das Prinzip Hoffnung” (Vorwort)
Gerade die Bändigung des Gegensätzlichen im Erzählen, das Zusammenspiel von Schwarz und Weiß, das das Fließen der Sprache, die Freude am Fabulieren nicht bremsen kann, gibt Im Farindelwald eine intensive Literarizität, die sich nicht um die abgegriffenen Motive kümmern muss. Das Erzählen selbst ist, stets für sich genommen, immer wieder neu genug. Es schließt und knüpft an und wagt, über den Tellerrand des Erklärens und Herleitens und Dokumentierens des bloßen hic et nunc hinauszugehen, und wird dadurch trotz aller Klischees widererwartend von einem ganz und gar utopischen Sinn und einer überbordenden Erzählfreude beseelt.
Herzlichen Dank an Sören Heim , der mich auf das Buch aufmerksam gemacht hat.
tl; dr … eine Kurzrezension findet sich hier.
Wow, du hast dem Buch einen sehr ausgiebigen Text gewidmet.
Ja, deine Rezension hat mich sehr neugierig gemacht. Ich habe ein solches Buch noch nicht gelesen (Reihe Das schwarze Auge) und bin erstaunt, wie narrativ wohl komponiert es gewesen ist, auch stilistisch fand ich es eigenartigerweise viel gelungener, als das meiste, das ich mir zumute zu lesen in letzter Zeit. Also, nochmals Danke von hier aus! Das war eine sehr überzeugende Rezension. Ich habe mir schon den zweiten Teil besorgt.
Du liest sonst keine Fantasy, oder? Auf jeden Fall hat mich deine Besprechung/Begeisterung gefreut. Ich weiß, dass ich in den 90ern auch DSA-Romane gelesen (aber nie gespielt) habe, und könnte mir vorstellen, dass ich diesen hier mag.
Ja, ich lese sonst kein Fantasy, aber deshalb habe ich ja diesen Blog ins Leben gerufen, um all die Dinge zu lesen, die ich sonst nicht lesen würde. Mir hat dieser Roman sehr gefallen. Ich werde auch den zweiten Teil lesen. Mich interessiert schon sehr, wie es mit Sylphinja und Anselm weitergeht – DSA habe ich nie gelesen, auch in den 90ern nicht, aber da scheint es eine ganze Goldgrube an schönen Lektüren zu geben. Ich lerne jeden Tag dazu 😀 Herzliche Grüße ins Wochenende hinein!!
Na ja, es gibt auch in der Fantasy Klassiker, und die sind es meist nicht ohne Grund geworden 😉
Ich bin für Vorschläge sehr offen. Welches soll ich lesen? 🙂 “Herr der Ringe” und “Hobbit” und “Narnia” kenne ich. Ich würde mich freuen, einen Klassiker zu lesen.
Klassiker sind auch die “Erdsee”-Bände und ihre Folgebände, auch wenn ich Erdsee bemerkenswert arm an Kanonendonner fand und bei der Auflösung dachte: Wie, das war es jetzt? Die Folgebände mochte ich aus unterschiedlichen Gründen, inklusive feministischem Ansatz. Sören Heim hat Erdsee auch besprochen: https://diekolumnisten.de/2018/01/24/das-wegweisende-erdsee-zum-tode-von-ursula-k-le-guin/
Und natürlich empfehle ich Patricia Mckillip. Die “Erdzauber”-Reihe ist bezaubernd, aber ihr Jugendwerk, später ist sie viel komplexer und besser geworden. Liest du auch auf Englisch? Bei “Erdzauber” ist die älteste Übersetzung m. M. nach die beste (die bunten Heyne (Heyne?)-Bände). Frag, wenn du meine Lieblinge wissen möchtest 😉
Ich frage 😀 … am liebsten wären mir einzelne Bände, da ich nicht direkt eine ganze Reihe lesen möchte, also bin ich bereit für zwei Vorschläge, die ich dann sehr gespannt und fröhlich lesen werde.
Erdzauber (alle drei) ist nicht dick, verglichen mit heutigen Ausgaben wie z. B. von Game of Thrones, da passen alle drei Bände vermutlich in ein Buch 😉. Falls du Englisch liest: The Bards of Bone Plain. Es gibt keine deutsche Ausgabe.
Becky Chambers Weg zu einem kleinen zornigen Planeten hattest du gelesen? SF, kein Fantasy, aber soooo klug und liebevoll.
Sehr gut. Dann Erdzauber, vielen Dank, und auf Zornige Planeten habe ich auch schon ein Blick geworfen. Vielen Dank! Das sind gute Tipps.
Muss mich korrigieren: Die alte Übersetzung, die zum Beispiel am korrektesten mit den Namen umgeht, ist Anfang der 80er bei Goldmann erschienen.
Zu Chambers findest du bei Ulrike Leselebenszeichen eine wunderbare Besprechung, falls du sie nicht kennst. 😁
Ja, ich fand die Besprechungen von Ulrike toll, deshalb habe ich es schon auf die Liste gesetzt. Du hast recht. Danke für die Korrektur! 😀
Erdzauber … immer wieder wunderschön 😊
War mir klar, dass du das sagen würdest 😉👍
*Schmunzel*
Erdsee ist auch 👍
Satanarchäolügenialkohöllisch faszinierend und aufwändig rezensiert. Chapeau!
Das Wort dreht meine Gehirnwindungen entzwei. Danke! Es ließe sich noch mehr über die Komposition anmerken, die in sich wiederkehrenden Spiegelungen, Erzählungen, die sich doppeln und doch erweitern. Es ist ein sehr vielschichtiger Roman, der viel bietet. Viele Grüße!
Mein Lieblingsfantasybuch neben Erdzauber von Patricia McKillip ist das Geheimnis der großen Schwerter von Tad Williams 😊
Lieber Finbar! Danke, das ist auch eine Reihe, oder? Gibt es da ein spezielles Buch, oder einfach das erste? Danke für den Tipp.
Ja, eine Reihe mit 4 dicken Bänden … einfach mit dem Drachenbeinthron beginnen. Was wie ein Kinderbuch beginnt, entwickelt sich alsbald zu einer tollen Saga für jugendliche Erwachsene! Echt toll 🙂
Erdzauber beginnt auch wie ein Kinderbuch, fasziniert aber bald auch Erwachsene. Hier sind es 3 undicke Bände. Der dritte Band “Harfner im Wind” ist absolute Spitzenklassefantasy 🙂
Gerne, herzliche Grüße vom Lu
Tolle Besprechung. Habe mich mal durch die Ernst Bloch Seiten gearbeitet. Ich lese ganz gern mal ein Fantasybuch. Ich hab so was nie angerührt, bis eines meiner Kinder die Tribute von Panem lesen wollte. Damals habe das verrissen. dann aber schnell selbst in die Hand genommen: und ich versank im Buch -das ganze Wochenende.
Ähnlich ging mir es vor zwei Jahren mit Filmen wie Blade Runner.
Ich war auch erstaunt, wieviel sich in diesen Büchern, Filmen finden lässt. Tolkien war leider für mich nicht zu bezwingen.
Tatsächlich hatte ich mit Panem ein ähnliches Erlebnis – ein sehr eigenartig, nicht loslassendes Buch. Ich lieh es mir von einem Kollegen, den ersten Band, und fuhr auf eine Tagung. Ich las es noch im Zug aus und musste dann durch eine Kleinstadt tigern, um die nächsten Bände zu bekommen. Ich war sehr aufgeregt 😀 … Tolkien hat seinen Ort und seine Zeit. In Sachen Ernst Bloch, ich kann dir Sachen senden. Ernst Bloch ist gut fürs Gemüt!! Herzlichen Dank für den Kommentar. Viele Grüße!!
Dann ging es dir mit Panem so wie mir auch. Es hat mich nie wieder losgelassen. Gerade der erste Band.
Das mit Bloch ist ein tolles Angebot von dir, aber ich habe gesehen, dass die Bibliothek ihn vorrätig hat