Immanuel Kant: „Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe“

Von Amphibolien und anderen Dämonen.

Wenige, nur einige Seiten lange Kapitel kondensieren so sehr Geistes- und Denkbemühungsgeschichte wie Immanuel Kants Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. Dieser Anhang samt seinen Anmerkungen beschließt die erste Abteilung der transzendentalen Analytik in der Kritik der reinen Vernunft und markiert ein atemloses Abwägen, eine Gratwanderung zwischen Tautologie und Ontologie mit schillernden Konsequenzen. Hier verdichtet sich eine Zeit und sattelt um. Gleich einer Schubumkehr wandelt die Leibniz-Wolffsche Philosophie ihr Gesicht und dankt ab, um dem Neuen und Offenen unverminderte Einkehr in das argumentative Denken zu verschaffen. Genau gelesen befindet sich das Amphibolie-Kapitel nämlich in einem Schwebezustand. Es herrscht bereits ein beschwingtes Nicht-Mehr, aber zugleich auch ein banges, unentschiedenes Noch-Nicht. Im Folgenden ein Nachvollzug dieser intellektuellen Implosion und hierfür, vorangestellt, eine kurze Einbettung des janusköpfigen Amphibolie-Kapitels.

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Kalenderwoche 16: Lesebericht.

Kommunikativ lesen.

Ich habe mich entschlossen, einen wöchentlichen Lesebericht über meine gekauften, angelesenen und beendeten Bücher zu verfassen, um einerseits selbst einen Überblick zu behalten, andererseits bereits vorhandene Leseeindrücke zu geben, und zuletzt und möglicherweise insbesondere, um durch etwaige Kommentare, Vorschläge, Widersprüche, Anmerkungen und Assoziationen zum Mehrlesen und Anderslesen und Neulesen inspiriert zu werden. Manche Bücher lesen sich kommunikativ einfacher als in selbstgewählter Klausur.

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Erwin Schrödinger: „Was ist Leben?“

Der Mensch als Haufen Atome? …

Wer sich fragt, was die moderne Physik zur Beantwortung metaphysischer Fragen beizutragen hat, wird über kurz oder lang auf das schmale Bändchen von Erwin Schrödinger Was ist Leben? stoßen, das zum ersten Mal in englischer Sprache 1944 erschien und von L. Mazurczak aus dem Englischen übersetzt wurde. Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger ist bekannt für seine Beiträge zur statistischen Physik und Quantenmechanik und gilt als ein exponierter Vertreter der modernen Naturwissenschaft. Für seine Grundlagenarbeit auf dem Gebiet der Quantenmechanik erhielt er 1933 gemeinsam mit Paul Adrian Maurice Dirac den Nobelpreis. In Was ist Leben? überträgt Schrödinger seine Expertise nun auf einen Bereich, der üblicherweise entweder der Philosophie oder Theologie vorbehalten bleibt, und wenn überhaupt von der spekulativen Biologie bearbeitet wird, den des Lebens und der Willensfreiheit:

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Ana Marwan: „Der Kreis des Weberknechts“

Wenn verkopfte Männer lieben …

Der Roman Der Kreis des Weberknechts beschreibt Immunisierungsstrategien. Er exploriert die Gedankengänge eines Mannes und einer Frau, die bereits einige Beziehungen gehabt haben, verbale Strategien kennen und das Miteinander mehr und mehr als Tanz, als Maskerade und Spiel begreifen. Ana Marwans Roman rückt der Kälte, der Angst, der Leere zwischen den Menschen entschieden auf den Pelz, indem sie unverblümt Hoffnungen wachsen und zugleich wieder vergehen lässt. In kurzen Abschnitten und wechselnden Erzählperspektiven gibt sie die Geschehnisse aus den Augen Karls und Mathildes wieder, schaltet und blendet zwischen Innen- und Außensicht über und bildet so ein ganzes Universum von Verblendung, Verwünschung und Verworrenheit ab.

„Worte, Worte, etc. …“ Sie nahmen kein Ende. Menschen scheinen sich mit dem Reden immer vom Denken ablenken zu müssen, stellte Lipitsch fest; und in jedem Wort, das er während seiner kurzen Reise hörte, fand er eine weitere Berechtigung für seine Abgeschiedenheit, deren warme Umarmung er kaum erwarten konnte.

Ana Marwan aus: „Der Kreis des Weberknechts“
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Jacques Derrida: „Gesetzeskraft“

Ausweitung der Deutungszone …

Interpretationsmodelle (2): Die Dekonstruktion und der Poststrukturalismus haben eins der wirkungsmächtigsten Interpretationsmodelle der letzten Jahrzehnte etabliert. Im Rahmen der Reihe der Interpretationsmodelle, und als zweiter Teil, nach Theodor W. Adornos Aufsatz Skoteinos und seinem Begriff der immanenten Kritik, wird nun Jacques Derridas Buch Gesetzeskraft – Der »mystische Grund von Autorität« als Beispiel einer dekonstruktivistischen Lektüre untersucht. In diesem setzt er sich ausgiebig und detailliert mit Walter Benjamins 1921 erschienen Aufsatz Zur Kritik der Gewalt auseinandersetzt, der in einem anderen Beitrag bereits besprochen und interpretiert wurde.

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Slavoj Zizek: “Sex und das verfehlte Absolute”

Ein Buch für alle und doch nicht viele.

Ein 592 Seiten in sich verwinkeltes, sich wiederholendes, re-paraphrasierendes hypo- und parataxisches Ungetüm – Zumutung oder Befreiungsschlag, Großdenker oder Provokateur? Es geht um Beckett, um Lenin, um den Holocaust, um MeToo. Es geht um Freud, Lacan, immer wieder Hegel. Es geht um Badiou, den Kollaps der Wellenfunkton in der Quantenmechanik, um Kafka, Zupancic, um Butler und Kristeva, rund um den stets herauswabernden Kant und Schelling, das Unheimliche Platons, Trump, Zynismus und die ewige Wiederkehr von Geschlechter-Binärem, dem Symbolischen, Imaginären, dem Realen des Hollywood Kinos, über Cary Grant zu Tom Cruise, Hitchcock vor und zurück und independent Science-Fiction Filme, Neurologie, künstliche Intelligenz und dem Virtuellen am Sex, das objet a und das durchkreuzte Subjekt.

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