Die Darstellung prekärer Lebensumstände fordert immer wieder das Schreiben und Beschreiben heraus. Soziale Not, der Pranger der Armut, die Fallstricke der Schulden haben schon oft das Gehör und Gemüt von Schriftstellern und Schriftstellerinnen erregt. Nicht erst seit dem Vormärz und Georg Büchner, aber seit ihm besonders und seinem Aufruf „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ im Der Hessische Landbote von 1834 erfreut sich der Naturalismus in der Literatur großer Beliebtheit. In der Novelle Lenz (1835) trifft der Protagonist auf ein krankes Mädchen in einer armseligen Hütte:
In der dämmernden Stube schlief alles, auch das Mädchen war ruhig geworden. Sie lag zurückgelehnt, die Hände gefaltet unter der linken Wange; das Geisterhafte aus ihren Zügen war verschwunden, sie hatte jetzt einen Ausdruck unbeschreiblichen Leidens. Er trat ans Fenster und öffnete es, die kalte Morgenluft schlug ihm entgegen. Das Haus lag am Ende eines schmalen, tiefen Tales, das sich nach Osten öffnete; rote Strahlen schossen durch den grauen Morgenhimmel in das dämmernde Tal, das im weißen Rauch lag, und funkelten am grauen Gestein und trafen in die Fenster der Hütte.
Georg Büchner aus: “Lenz”
Georg-Büchner-Preisträger von 2019, Lukas Bärfuss, befasst sich in Die Krume Brot ebenfalls mit Armut und sozialer Not, aber anders als Georg Büchner in Lenz enthält der Roman keine mystisch-verhängnisvolle Atmosphäre, in der Handlung, Traum, Wahn und Hoffnung verschwimmen könnten. Bärfuss bleibt auf dem Boden der Tatsachen und beschreibt nüchtern den Lebensweg von Adelina, einer italienischen Einwanderertochter in Zürich:
„Lukas Bärfuss: „Die Krume Brot““ weiterlesenDer Vater liebte das Kind vom ersten Tag an abgöttisch. Adelina, so nannten sie das Mädchen, besaß ein Lächeln, das den Vater heilte, ihn für einen Moment die Verdorbenheit der Welt vergessen ließ und in ein Land ohne Schmerzen entführte.
Lukas Bärfuss aus: “Die Krume Brot”