Als Chronik eines Niedergangs bearbeitet Nelio Biedermanns Roman Lázár den Stoff von Thomas Manns Die Buddenbrooks oder Gabriel Marcia Marquez‘ Hundert Jahre Einsamkeit. Spielt das eine in Norddeutschland, in Lübeck, verfolgt das andere in einem fiktiven südamerikanischen Land das langsame Dahinscheiden der Familie Buendía. Biedermann siedelt seinen Roman im frühen zwanzigsten Jahrhundert in Ungarn an und beschreibt chronologisch, wie die Familie Lázár in Krieg und Inflation um ihren Besitz und Adelsstatus kämpft und beides unweigerlich im Zuge der Sowjetisierung nach 1945 verliert. Als Familienchronik setzt Biedermann in seiner rhapsodischen Erzählform trotz Verwandtschaft mit Mann und Marquez dennoch eher Romane wie Christoph Heins Das Narrenschiff fort, die große Zeitspannen nur stichwort- und blitzlichtartig aufsummieren:
„Nelio Biedermann: „Lázár““ weiterlesenDie Jahre kamen und gingen, zogen wie die Roma mit ihren Pferden und Zirkuswagen durch das Habsburgerreich, durch die im Donausumpf versinkende Monarchie. Und auf ihrem Weg durch dieses alte Reich, das von einem ebenso alten Kaiser regiert wurde, auf ihrer spiralförmigen Reise durch die Felder und Wälder und Städte, hinab zu den zukünftigen Knochen, hinein in die blutroten Tiefen dieses jungen Jahrhunderts, mieden die umherstreifenden Jahre auch das Schloss der Familie von Lázár nicht. Die Kinder wurden älter, Mária einsamer und Sándor distanzierter.
Nelio Biedermann aus: „Lázár“
